Ungewöhnlich, sympathisch eigenwillig und zu schade zum ignorieren: Fotoapparate aus der DDR

Kameras aus der DDR sehen billig aus, sind billig gemacht und taugen allenfalls für Anfänger. So war die einhellige Meinung vor 1990 im Westen, wenn die Rede auf Fotoapparate aus der DDR kam, und dieses Urteil hat sich auch nach der Wende bis heute weitgehend gehalten: Wenn man jetzt über Flohmärkte geht, bekommt man betagte DDR Kameras fast nachgeworfen, während für ebenfalls in die Jahre gekommene Massenprodukte aus Fernost jedes Jahr höhere Preise gezahlt werden.

Ich hatte das genauso gesehen - ich bin mit Kameras aus Japan aufgewachsen und kannte an deutschen Herstellern Leica, Voigtländer und Rollei. Naja, und eben Praktica, die ich aber geringschätzte, und um deren Exportmodelle, die als Porstreflex oder Revueflex bei deutschen Versandhäusern angeboten waren, ich einen Bogen machte.

Anfang diesen Jahres bekam ich die Kamerasammlung eines Bekannten in die Hände und fing an, mich mit den Kameras zu befassen und mich für sie zu interessieren. Denn die Kameras aus der DDR sind anders. Sie erzählen andere Geschichten. Sie sind anders konstruiert und anders gestaltet. Und viele von ihnen funktionieren heute noch tadellos, denn sie waren als langlebige Gebrauchsgüter konstruiert und wurden über lange Zeiträume gebaut - die beliebte Mittelformatkamera Pentacon Six beispielsweise nahezu unverändert von 1966 bis 1990.

Pentacon Six - die großartige Mittelformatkamera

Die Pentacon Six ist eine Mittelformatkamera im Design einer Kleinbild-Spiegelreflex, und unterscheidet sich dadurch grundsätzlich vom Würfelaufbau einer Hasselblad. Im Vergleich zur Hasselblad ist sie zwar nicht so vielseitig (es gibt keine wechselbaren Filmmagazine), aber auf Grund der sehr guten Objektive braucht sich die Pentacon Six nicht hinter einer Hasselblad zu verstecken.

Die Kamera ist robust gebaut, allenfalls der Filmtransport und der Verschluss können bei alten Kameras problematisch werden.

Alles in allem - eine großartige Kamera, die fantastische Bilder macht! Und wer unbedingt ein zweites Filmmagazin wie bei einer Hasselblad braucht, kauft sich eben einen zweiten Body.

Verschluss Tuchschlitzverschluss bis 1/1000 Sekunde
Objektiv Wechselobjektive mit Steckbajonett (P6)
Filmformat Rollfilm, 6 x 6 xm
Bauzeit 1966 - 1990
Modelle Pentacon Six, Pentacon Six TL, Praktisix (Vorläufer)

Weitere Infos siehe Pentacon Six; In meinem BlogPost Hasselblad 500 c/m versus Pentacon Six gehe ich auf die Unterschiede der beiden Kameras ein.

Praktina - Systemkamera der ersten Stunde

Eine tolle Kamera, zu ihrer Zeit eine echte Profikamera. So gut wie alles konnte an ihr gewechselt und angepasst werden:

  • wechselbare Sucher
  • wechselbare Objektive mit einer Vielzahl von Objektiven, vom 25mm Ultraweitwinkel bis 500mm Supertele
  • wechselbare Rückwand (für 17 Meter Filmtrommeln)
  • ansetzbare Motoraufzüge

Besonders ungewöhnlich ist der zweite, fest eingebaute Durchblicksucher (Newtonsucher) zusätzlich zum Spiegelreflexsucher.

Trotz der Flexibilität ist die Kamera handlich, aber angenehm schwer. Hier ist noch keine Spur von den verchromten Kunststoffteilen, hier ist alles solide aus Metall gefertigt.

Verschluss Tuchschlitzverschluss bis 1/1000 Sekunde
Objektiv Wechselobjektive mit Steckbajonett
Filmformat 24 x 36 mm
Bauzeit 1952 - 1960
Stückzahl 100.000
Modelle Praktina FX, Praktina IIa

Praktica - Kameras vom Fließband

Die Praktica war die wichtigste Kamerabaureihe der DDR und wurde vom 1948 bis 2001 produziert. Die Entwicklung der Praktica basierte auf den Praktiflex-Kameras, die zwischen 1939 und 1951 von den Kamerawerken Niedersetlitz (“KW”) hergestellt wurden. Mit dem herstelleroffenen M42 Schraubbajonett der Prakticas standen den Anwendern eine Vielzahl von Objektiven zur Verfügung, erst bei der letzen Baureihe wurde das Bajonett gewechselt, um die Übertragung zwischen Kamera und Objektiv zu vereinfachen.

In den ersten Jahzehnten waren die Praktica Kameras technologisch auf Weltmarktniveau, wurden aber in den 70er Jahren - wie die westdeutsche Kameraindustrie - von den Japanern überholt. Innovation fand bei den Prakticas bei der Produktion statt - als eine der ersten Hersteller setzen die Werke auf Fließbandarbeit, und die Kameras waren modular konstruiert, so dass eine große Modellvielfalt erreicht werden konnte.

Heutzutage spielt es keine Rolle, ob eine Kamera von damals technologisch 5 Jahre hinter dem führendem Wettbewerb lag; heute freut man sich an der robusten Bauweise und bei den vollmechanischen Kameras an der zuverlässigen Funktion.

Objektiv Wechselobjektive, M42 und PB-Bajonett
Filmformat 24 x 36 mm
Bauzeit 1948 - 2001
Stückzahl 9.000.000
Modelle (Auswahl) Praktiflex, Praktica FX, Praktica nova, Praktica super TL, Praktica L, Praktica EE, Praktica BM

Werra - hat den Dreh raus

Eine Werra ist nicht nur eine schöne Kamera, sie steckt auch voller überraschender Details. Denn bis auf den Auslöser sind alle Bedienelemente am Objektiv untergebracht, und das Objektiv kann mittels umgedreht aufgesetzter Sonnenblende komplett geschützt werden. Auch der Filmtransport erfolgt am Objektiv - und zwar durch das Drehen eines Ringes am Objektivansatz.

Die Kamera wurde von Zeiss Ikon entwickelt und besitzt eine Eigenentwicklung eines Zentralverschlusses. Denn durch die deutsche Teilung war es den DDR Firmen nicht mehr möglich, die Verschlüsse von den westdeutschen Herstellern zu beziehen. (Der Compur-Verschluss von Deckel in München und Prontor-Verschluss von Gauthier in Calmbach waren seinerzeit die führenden Produkte)

Die Kamera ist ein wahrer Handschmeichler. Das Gehäuse mit den sanft gerundeten Ecken liegt gut in der Hand, und die Krönung des ganzen ist der grüne Vulkanit Bezug.

Die Werra wurde in verschiedenen Versionen gebaut; als einfache Sucherkamera, als Kamera mit Entfernungsmesser, als Kamera mit Belichtungsmesser und als Kamera mit Belichtungsautommatik.

Gebaut wurde die Werra-Kamera in Eisfeld in der Nähe der Quelle des Flusses Werra.

Hersteller VEB Carl Zeiss Jena
Objektiv Werra 1 und Werra 2: Festobjektiv, die anderen mit Wechselobjektiv
Filmformat 24 x 36 Kleinbildfilm
Verschluss Zentralverschluss
Bauzeit 1954 - 1966
Stückzahl 600.000 - 800.000

Penti - Designklassiker für die Handtasche

Penti Sucherkamera
Penti Sucherkamera

Auch die kleine Penti Kamera ist eine Überraschung - hinter dem glitzernden Golddekor verbirgt sich tatsächlich ein brauchbarer Fotoapparat. Leider passen keine Kleinbildpatronen - diese Kamera ist auf das Karat/Rapid Kasettenformat ausgelegt. Hierbei werden zwei Patronen in die Kamera eingelegt: die eine enthält den unbelichteten Film, die andere nimmt den belichteten Film auf.

Netter Nebeneffekt des Karat Systems: wenn man versehentlich die Kamerawand öffnet, ist nicht der ganze belichtete Film futsch, sondern nur die 1-2 Bilder zwischen den beiden Patronen.

Noch eine Besonderheit: Die Kamera nimmt im Halbformat auf; anstelle von 24 x 36 mm werden also 18 x 24 mm große Bilder belichtet, und das im Hochformat. Der Filmtransport (und Verschlussaufzug) erfolgt auch ungewöhnlich: nach jedem Bild springt eine Stange aus der linken Seite der Kamera. Wenn man diese wieder hineindrückt, wird der Film transportiert und der Verschluss gespannt.

Anders als erwartet besteht das Gehäuse der Kamera nicht aus Plastik / “Plaste”, sondern aus Metall, wobei der Rückdeckel einfach ohne Scharnier aufgeklemmt wird. Blenden- und Zeiteinstellungen werden am Objektiv (Domiplan 3,5, 30mm) vorgenommen. Die 30mm entsprechen beim Halbformat einem Normalobjektiv.

Das Folgemodell Penti II erhielt dann einen Belichtungsmesser.

Nachteilig ist bei der Penti der Verschluss, denn die Wahl der Verschlusszeiten beschränkt sich auf 1/30, 1/60, 1/125 und B.

Gewicht 290 g
Objektiv Meyer Trioplan 1:3,5 / 30mm
Filmformat 18 x 24 mm
Bauzeit 1959 - 1977
Modelle: Penti, Penti 2

Pouva Start - Bakelit Lomo mit Linsenrüssel

Von den hier vorgestellten Kameras ist die Pouva Start wahrscheinlich diejenige, die man als Spielzeug bezeichnen könnte, und tatsächlich war sie als Einsteigerkamera für Kinder und Jugendliche gedacht. Hier ist alles minimalistisch gehalten; das Objektiv besteht nur aus zwei Linsen; es gibt nur zwei Blenden (1:8 und 1:18) und nur eine Verschlusszeit von 1/25. Okay, es gibt auch noch Langzeitbelichtungen mit “B”.

Geladen wird die Kamera mit Rollfilm, und wie bei einfachen Rollfilmkameras üblich transportiert man den Film solange weiter, bis im Guckloch auf der Rückseite die nächte Zahl auf der lichtdichten Deckschicht des Films erscheint. Den Verschluss muss man nicht spannen, er macht einfach jedesmal “Klack”.

Beim Transport ist das Objektiv in der Kamera versenkt, zur Benutzung schraubt man die Linse mit dem Rüssel heraus.

Mal ehrlich - warum solte man sich eine Holga Lomo kaufen, wenn es die knuffigen Pouvas gebraucht gibt?

Objektiv 2-Linser
Filmformat 6 x 6 cm Rollfilm
Bauzeit 1952 - 1972
Stückzahl 2.000.000
Modelle Pouva 1 (mit Klappsucher), Pouva 2 (mit optischem Newstonsucher)

Weitere Infos siehe Bakelit Kameras aus der DDR

Exakta - wegweisende Kleinbild-Spiegelreflex

Exakta Spiegelreflex Kameras
Exakta Spiegelreflex Kameras

Die Exaktas zählen für mich zu den schönsten Kameras überhaupt. Dazu trägt natürlich maßgeblich das wunderbar gravierte Logo bei, aber auch sonst ist eine Exakta eine großartige, und vor allem im Vergleich zu dem späteren Einheitsdesign der SLR Kameras (West wie Ost) ein ungewöhnliches Instrument und ein kleines technisches Meisterwerk.

Die Sucher sind wechselbar, es gibt Prismensucher und Faltlichtschachtsucher. Die Gehäuseform ist nicht kantig wie ein Ziegelstein, sondern läuft an den Seiten schmal zu und fässt sich großartig an. Der Verschlussaufzug sitzt links, der Einstellung der Verschlusszeit ebenfalls. Das Langzeitlaufwerk (für lange Belichtungszeiten und Selbstauslöser) sitzt auf der rechten Seite.

Der Clou ist ein in die Kamera integriertes Messerchen, mit dem der teilbelichtete Film in der Kamera durchgeschnitten werden kann, um ihn vorab entwickeln zu können.

Die Exakta Kameras waren international beliebt; Modelle für den Export hießen z.B. Elbaflex.

Filmformat 24 x 36 mm
Bauzeit 1950 - 1970
Modelle Exakta Varex, Exakta Varex IIa, Exakta Varex IIb, Exakta VX 1000, Exakta VX 500

Exa - kompromisslos simpel

Die Exa Kameras sind die kleinen Schwestern der Exaktas. Die Exakta Kameras waren international sehr erfolgreich und im Inland zu teuer für den Verbraucher, also wurde eine abgespeckte Variante gebaut. Mit dem großen Geschwister teilen sich die Exa Kameras den Objektivanschluss, sodass dieselben Objektive verwendet werden können. Ebenfalls identisch ist die Vorrichtung der Suchereinsätze - auch hier können die Sucher zwischen Exakta und Exa gewechselt werden.

Damit hat es sich aber schon mit den Gemeinsamkeiten - die Exa Kameras waren deutlich einfacher konstruiert. Anstelle eines Schlitzverschlusses wie bei der Exakta musste bei der Exa ein einfacher Klappverschluss genügen. Die Auswahl an Belichtungszeiten ist entsprechend geringer: Bei einer 1/150 bzw. 1/175 ist Schluss. Erst das späte Modell Exa 500 brachte dann eine 1/500 Sekunde.

Besonders schön sind die Modelle der ersten Baureihe, sie tragen ebenso wie die Exakta Varex IIa ihr Emblem wie eine Krone auf dem Kopf.

Filmformat 24 x 36 mm
Bauzeit 1951 - 1969
Modelle Exa 0, Exa 1, Exa 1a, Exa 1b, Exa 1c, Exa II, Exa IIa, Exa IIb, Exa 500

Weitere Infos siehe Exa Ihagee Kameras

Pentina - alles weg vom Deck

Pentina DDR Kamera mit Zentralverschluss
Pentina DDR Kamera mit Zentralverschluss

Sie sieht gar nicht wie eine Spiegelreflexkamera aus, oder? Auf der Oberseite fehlt nicht nur der typische Höcker des Dachkantprismas, auch sonst finden sich dort keine Bedienelemente. Der Auslöser ist - DDR-typisch - an der Vorderseite, und die Zeit/Blendenwahl sind am Bajonettring integriert.

Die Kamera sieht nicht nur besonders aus, sie ist auch technisch ungewöhnlich: Denn anstelle eines für SLR Kameras üblichen Schlitzverschlusses besitzt sie einen Zentralverschluss, ähnlich der westdeutschen Kamera Contaflex von Zeiss Ikon oder Bessamatic/Ultramatic von Voigtländer.

Für die Kamera wurden 4 Objektive gebaut:

  • 1:2.8 50mm Tessar von Carl Zeiss Jena
  • 1:3,5 30mm Lydith von Meyer Optik
  • 1:2,8 85 mm Cardinar von Zeiss Jena
  • 1:4,0 135 mm Domigor von Meyer Optik

Es gibt verschiedene Modelle mit und ohne Belichtungsmesser; Der Belichtungsmesser - wenn vorhanden - misst nicht TTL, sondern sitzt auf der Kamerafrontseite über dem Objektiv. Auf der Oberseite gibt es ein einfaches Nachführsystem, mit dem die Zeit-/Blendenkombination mit der Messnadel des Belichtungsmessers in Deckung gebracht werden kann.

Die Wahl von Zeit und Blende ist schlau über zwei hintereinander liegende Ringe gelöst: der vordere stellt unabhängig die Blende (und damit den Lichtwert) ein, der hintere verstellt die Zeit/Blendenkombination bei gleichbleibendem Lichtwert. Die Ringe haben kleine Knubbel zum Anfassen, die Bedienung geht komfortabel und schnell von der Hand.

Diese Einstellringe sind Teil der Kamera und unabhängig vom Objektiv.

Das Sucherbild zeigt die Mattscheibe mit einem großen zentralen Schnittbildelement und ist leider etwas dunkel; das ist bei der Zeiss Ikon Contaflex deutlich besser.

Verschluss Zentralverschluss bis 1/500 Sekunde
Objektiv Wechselobjektive mit Steckbajonett
Filmformat 18 x 24 mm
Bauzeit 1961 - 1965
Stückzahl 45.000

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