Kameras für die entschleunigte Fotografie

Wenn ich eigentlich Lust am Fotografieren habe, mir aber die Inspiration fehlt oder ich Gefahr laufe, mur allzu mechanisch die Kamera zu benutzen, peppe ich mein Fotoleben mit Mini-Challenges auf. Ich verlasse den vertrauten Boden, und schnappe mir alte oder ungewöhnliche Kameras, und erlebe damit kleine Fotoabenteuer.

Die Abkehr von den vollautomatischen Kameras entschleunigt mich. Ich verändere Sehgewohnheiten, muss mich mit manuellen Apparaten auseinandersetzen und gewinne Freude am verlangsamten Entstehungsprozess der Fotos.

Im Laufe meines Lebens habe ich die eine oder andere Kamera in die Hand bekommen, sodass ich einen gewissen Fundus zum Experimentieren habe. Außerdem habe ich auch ein paar Mal Konvolute bei Ebay Kleinanzeigen erworben, wo ich wirklich Glück hatte und tolle Apparate den Weg zu mir fanden. Somit bin ich in der glücklichen Lage, viel auszuprobieren, was ich gerne mache.

Hier kommen meine Lieblings-Entschleunigungsrezepte:

Analoge Spiegelreflex und nifty-fifty

Eine analoge Kleinbild-Spiegelreflex mit einem lichstarken 50mm (Offenblende 1.8 oder besser) ist das klassische Analog-Set. Das war es vor 50 Jahren, als ich damit fotografierte, und das ist es immer noch.

Heutzutage gehe ich mit dem Material bedächtig um; schließlich kostet ein Film um die 10€, und mit Entwicklung und Abzügen summiert sich das dann schnell auf 25€. Die 35 Aufnahmen pro Film wollen erst einmal geschossen werden, weswegen das für mich nur für erlebnisreiche Ausflüge in Frage kommt. 1 Film = 1 Event oder Projekt. Ich mag es nicht, wenn in einer Kamera ein Film auf den nächsten Einsatz wartet. (Passiert trotzdem)

Ich fotografiere damit in Farbe, weil ich schwarz-weiß in Mittelformat mache und selber entwickel.

Entschleunigung

Da man die Fotos erst sieht, wenn sie vom Labor zurückkommen, ist man maximal entschleunigt. es geht alles darum, den Moment auszunutzen. Das Fotoreview beginnt erst in einer Woche, wenn die Fotos zurückkommen. Was mich manchmal unter Druck setzt, ist den Film vollzubekommen.

Kamera

Meine Lieblingskamera dafür die ist fantastische Nikon FM3A. Prinzipiell geht jede analoge Kamera; am liebsten eine ohne Autofokus. Die (meiner Meinung nach) besten/schönsten wurden 1975-1985 gebaut, also vor der Autofokus-Ära. Der Preis für ein Einsteiger-Kit (Kamera und 50er) liegt bei etwa 200 €. Die Nikon FM3A ist teurer.

Beispiele sind:

Zu achten ist auf eine kurze Verschlusszeit, diese sollte mindestens 1/2000 haben. Denn wenn man offenblendig fotografiert, braucht man diese. Es gibt auch einige Kameras mit 1/4000 Sekunde oder noch kürzer. Diese liegen preislich bei 500 € und mehr. Beispiele:

  • Leica R8 (1/1800!) (Tolle Kamera! Leider etwas schwer. Ganz gutes Gebrauchtangebot.)
  • Nikon FM3A (Eine relativ junge Kamera, wurde bis 2006 gebaut. Die Exemplare sind selten, aber gut erhalten)
  • Contax RTS III (1/8000) (Tolle Kamera und hervorragende Zeiss-Objektive. Gute Exemplare sind schwer zu bekommen)

Für den gelegentlichen Einsatz ist es eigentlich egal, für welche Kamera man sich entscheidet, solange sie in einem guten Zustand ist.

Wenn man plant, mit Wechselobjektiven zu arbeiten, würde ich auf Nikon oder Canon gehen. Das Angebot an Objektiven ist hier größer, der Preisbereich auch. Schöne Ergänzungen an Objektiven sind lichtstarke Weitwinkel (35mm, 28mm, 24mm) und leichte Tele (85mm, 135mm).

Für meine analoge Nikon habe ich 24mm, 35mm, 50mm, 135mm und 200mm; die habe ich zusammen für 100€ mit zwei Kameras, Koffer und Filmen bekommen (Glück gehabt). Das 135mm und 200mm lasse ich meisten zu Hause (zu groß), die anderen sind ein tolles Set und machen mächtig Freude.

Nikon FM3A mit 50mm 1.8
Nikon FM3A mit 50mm 1.8

6x6 Mittelformat mit Schwarzweiß-Entwicklung und Scan

Schwarz-weiß Negativentwicklung ist nicht schwer! Und wenn man die Chemikalien zu Hause hat (hab ich), kann man nach 30 Minuten die Ergebnisse sehen.

Der Umgang mit einer Mittelformatkamera ist auch etwas speziell; das Einlegen des Rollfilms wird in jeder Kamera anders gehandhabt; das Prinzip ist aber gleich. Während man bei den Kleinbildkameras nur die Patrone einlegt und den Film in eine Lasche steckt, gleicht das Vorbereiten der Mittelformatkamera schon einem kleinen Ritual.

Außerdem passen nur 12 Bilder auf einen Film, die Motive wollen mit Bedacht ausgewählt sein.

Entschleunigung

Fotografiert wird mit einer Spiegelreflexkamera mit Lichschacht. technisch bedingt wird das Bild seitenverkehrt im Lichtschacht-Sucher angezeigt. Die Bildkomposition wird dadurch erschwert, denn wenn man das Bild nach links schwenken will, muss die Kamera nach rechts. Das ist prima entschleunigend, denn es bricht mit Gewohnheiten.

Für ein Mittelformatabenteuer muss ich schon ein paar Stunden einplanen. Mittelformatkameras sind schwer - aber ich suche ja gerade die Herausforderung.

Das quadratische Format führt auch dazu, dass man andere Motive auswählen muss. Das Format gilt bei vielen als langweilig; ich liebe es. Es ist statisch, es friert noch mehr den Moment ein, als es Fotos ohnehin schon tun.

Filmeinlegen, fotografieren, entwickeln: ein paar Stunden bin ich beschäftigt, und hinterher habe ich ein (hoffentlich) schöne Negative, die ich dann scanne.

Motive

Für das Abenteuer am Wochenende ziehe ich mit dem Rad durch die Nachbarschaft, denn das Schleppen im Rucksack ist mir zu schwer. Auf Reisen habe ich auch manchmal die Kamera dabei, für besondere Gelegenheiten.

Kameras

Meine Lieblingskamera dafür ist die Pentacon Six mit den hervorragenden Linsen. Kamera und Objektiv gibt es für 300 €. Alternativen sind

  • Hasselblad 500c/m: ein Klassiker. Teuer, und leider auch technsich anfällig
  • Mamiya C Serie: Eine zweiäugige Kamera mit Wechselobjektiven und Balgenauszug. Schwer, aber flexibel - der Balgenauszug erlaub auch Nahaufnahmen ohne Zubehör.
  • Rolleiflex, Rolleicord: Klassiker. eine gute Rolleiflex mit 2.8 Objektiv kostet deutlich über 1000 €; die T-Modelle oder eine Rolleicord gibt es für die Hälfte oder ein Drittel.
  • Yashica 124 MAT: Das war mal die preisgünstige Alternative zur Rolleiflex. Die Zeiten sind vorbei; Preise liegen auch bei 400 € aufwärts.
  • Seagull: Der preisgünstige Einstieg ab 100 €

Suchereinblick in die Pentacon Six
Suchereinblick in die Pentacon Six

Pentacon Six
Pentacon Six

Mamiya C3 Professional
Mamiya C3 Professional

Vintage-Linsen an digitalem Vollformat

Vor einem digitalen Vollformatsensor lassen problemlos Objektive montieren, die 50 Jahre oder mehr alt sind. Während moderne Kameras mit hervorragend gerechneten Objektiven ausgestattet sind und die optischen Restfehler softwareseitig wegbügeln, sind die alten Linsen voller Kompromisse. Diese optischen Fehler machen den Charakter eines Objektivs aus, und es macht riesig Spaß, diesen zu erkunden und mit ihm zu spielen. So entstehen wunderbar verträumte Bilder, die - ganz ohne Softwarefilter - einen Retrocharme haben:

  • Flares bei Gegenlicht, die wie eine Aura ins Bild leuchten
  • Randunschärfen, die die Bildmitte betonen (“3-D-Pop”)
  • Weiche Scharfzeichnung bei Offenblende
  • Swirl-Bokeh, bei denen der unscharfe Hintergrund um die Bildmitte kreist

Entschleunigung

Ich kann ohne Vorbereitung jederzeit mir ein kleines Retro-Abenteuer gönnen, und mich gleich danach an den Fotos erfreuen. Sehr gerne mache ich das beim Morgenspaziergang mit Milli auf dem Feld, wo ich die mir vertrauten Dinge mit neuen Augen sehen lerne.

Kameras

Ideal für das Retro-Linsen-abenteuer ist eine Vollformat-Systemkamera, da hier das ganze Bildfeld der Optik ausgenutzt wird. Bei Optiken mit kleineren Sensoren (APS wie z.B. Fuji) wird der Rand des Bildfeldes abgeschnitten, das Zentrum bleibt übrig. Das Zentrum ist bei den Optiken aber meisten gut korrigiert, die komischen, seheswerten Sachen passieren meistens am Rand. Und der kommt bei einem kleineren Sensor nicht aufs Bild. (Mein erster Versuch war, die Objektive an eine Fuji X-E1 zu packen. Das hatte aus eben genannten Gründen keinen Fun-Faktor).

Spiegelreflexsysteme sind nicht so geeignet, besser sind modernere Systemkameras mit digitalem Sucher (EVF). Denn bei diesen ist der Objektivansatz nach am Sensor, wodurch man mehr Platz für Adapter bekommt.

Ich nutze dafür eine Sony a7 (erste Generation), die ich für umgerechnet 100€ erworben habe. Dazu habe ich mir Adapter geholt (Urth und K+F), um die alten Objektive montieren zu können.

Für die Montage der alten Objektive ist die Kamerasteuerung auf manuell zu setzen, außerdem die Option “Auslösen ohne Objektiv” zu aktivieren.

Empfehlungen für Objektive

Der Spaß steht und fällt mit den Objektiven. Interessant sind die Linsen von Meyer-Optik Görlitz. Diese haben einen eigenen Charakter und werden mittlerweile wieder hergestellt. Empfehlenswert natürlich auch Carl Zeiss Jena.

Budget-Optiken wie E.Ludwig haben auch ihren eigenen Charakter. Einfach ausprobiere! Genau darum geht es ja.

Meyer-Optik Linsen wurden in der DDR hergestellt; es gibt sie für M42-Anschluss und das Exakta Bajonett. Für beide Anschlussarten habe ich Adapter.

Viel Freude machen mir die folgenden Linsen:

Primotar 3,5 30mm an Sony a7
Primotar 3,5 30mm an Sony a7

Flektogon 35mm 3,5
Flektogon 35mm 3,5

E.Ludwig Meritar
E.Ludwig Meritar

Sony a7 mit Flektogon
Sony a7 mit Flektogon

Vintage Digitalkompaktkamera

Digitalkameras der ersten Jahre haben pixelige Sensoren, einen geringen ISO-Bereich, ein eigenwilliges Farbverhalten und einen wenig leistungsfähigen Autofokus (verglichen mit heutigen Modellen). Die Bearbeitbarkeit der Fotos ist eingeschränkt, man nimmt das, was aus dem Sensor kommt.

Entschleunigung

Die Beschränkungen sind herrlich entschleunigend; man muss die Motive mit Bedacht wählen. Ab und zu schnappe ich mir wieder mal eine alte Dikgiknipse und gehe mit ihr raus. Und begeistere mich dann später über die eigene Ästhetik der Bilder.

Ein solcher Fotoausflug ist eher ein Spaßabenteuer als eine Meditation. Wie bei den analogen Kameras kann man bei der AUfnahme auf den kleinen, schlechten Displays nicht viel erkennen. Man muss Sehen lernen, ausprobieren. Und hinterher am Computer sich über die Fotos freuen.

Kameras

Von den alten Kameras nehme ich am liebsten die Canon Powershot G3, da sie ein leistungsfähiges Objektiv besitzt. Sie stammt aus dem Jahr 2002 und hat ein Zoom.

Wichtig ist natürlich, dass der Akku noch funktioniert, und dass man Speicherkrten hat. Die Kameras der ersten Generation hatten häufig Campactflash-Karten, hier würd ein Lesegerät benötigt.

Canon Powershot G3
Canon Powershot G3

Canon Poerwshot G3
Canon Poerwshot G3

Analoge Kompaktkameras

Für das unbeschwerte analoge Leben bieten sich analoge Kompatktkameras an. Ich finde das ideal für eine Reise, wenn man keine analoge Spiegelreflex rumschleppen möchte, aber auch auf Handyfotos verzichten will.

Entschleunigung

Man braucht schon ganz schön Disziplin, wenn man einerseits anspruchsvoll fotografieren will, und andererseits “nur” mit einer Kompaktkamera unterwegs ist. Ich gebe zu, ich mache das meisten, um Kameras auszuprobieren. Aber das macht auch Spaß und entschleunigt.

Kameras

Anbieten tun sich späte Modelle von Kompaktkameras mit Festbrennweite und Autofocus, wie zum Beispiel die Olympus Mju, die allerdings sehr begehrt und entsprechend teuer ist (150 €).

Sehr vie mehr Angebot gibt es bei den Varianten mit Zoom, von denen ich aber die Finger lassen würde - sie sind lichtschwach und knallen bei jeder Gelegenheit den Blitz rein.

Was auch viel Freude macht ist das Spielen mit den Sucherkameras der 60er Jahre, hier braucht man aber ein gutes Händchen um ein brauchbares Exemplar zu finden. Die Belichtung wird meistens geschätzt, Belichtungsautomatik ist bisweilen nicht brauchbar, weil die Batteriemodelle (Quecksilber) nicht mehr im Handel sind.

Ricoh 35 ZF
Ricoh 35 ZF

Ricoh 35 ZF
Ricoh 35 ZF

Ricoh 35 ZF
Ricoh 35 ZF

Bezugsquellen und Kosten

Auf jeden Fall stecken in den Kameras einige Euros, das ist wahr. Es gibt preisgünstigere Hobbies, wie zum Beispiel Wandern - da brauche ich nur ein paar Schuhe alle zwei Jahre.

Zu beachten ist allerdings, dass die alten Kameras nicht an Wert verlieren, im Gegenteil. Ich kann die Kameras heute zu einem höheren Preis verkaufen, trotz gelegentlicher Benutzung. Meine gebrauchten Wanderschuhe dagegen wandern in den Müll.

Ich habe die meisten meiner Kameras über Ebay Kleinanzeigen erworben. Dort habe ich ein paar Mal zu viel Geld ausgegeben (das Verlangen hatte über die Vernunft gesiegt), und ein paar Mal hab ich auch richtig Glück gehabt.

Ab und an kaufe ích auch bei Ebay, wenn ich genau weiß, was ich will (meistens Objektive). Da hatte ich bei gewerblichen Verkäufern keine Probleme.

Eine gute Adresse ist auch der Gebrauchtmarkt von Fotogeschäften wie Calumet und Foto-Meyer. Höhere Kosten, dafür weitreichende Garantie und Gewährleistung.

Verkauft habe ich eine ganze Menge bei ebay Kleinanzeigen. Hier muss man eine Menge Geduld mitbringen; ich habe häufig auf vermeintliche Käufer gewartet, die mich haben sitzen lassen.

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