Ein hübscher Handschmeichler - die Werramatic. Mit Belichtungs- und Entfernungsmesser fast eine Leica. Oder?

Manche Werkzeuge will man einfach in die Hand nehmen, weil sie sich gut anfühlen: die richtigen Rundungen, ein wertiges Gewicht, das kühle, schwere Metall. Keine störenden Elemente – nur der Auslöser und der Sucher. Leica nennt das die Reduktion auf das Wesentliche. Die Werra hat ähnliche Proportionen wie eine Leica – klassisch, ausgewogen, archetypisch wie eine Sucherkamera. Sie ist gerade noch handlich, um sie mit einer Hand zu fassen, nicht zu klein, nicht zu groß. Der Blick durch den Sucher ist hell und klar. Die Belederung – nun ja, das Vulkanit, um genau zu sein – ist für die Ewigkeit gemacht. Sie ist einfach schön.

Ein grüner Kobold auf einem Bord

Als ich eine Werra zum ersten Mal gesehen habe, war das auf einer Kamerabörse. Dort standen lauter grüne Apparate auf einem Bord. Wer bitteschön macht grüne Kameras?, dachte ich mir. Es gibt Dinge, die wirken wichtig, weil sie kompliziert sind. Dabei ist Kompliziertheit oft nur das Ergebnis konzeptionellen Versagens. Der Olymp des Gestaltens ist die Einfachheit. Kompliziert kann jeder. Und die Kamera, dieser kleine grüne Kobold, war so wunderbar einfach in der Gestaltung, dass sie aus all den anderen Balgen, Tuben und Riesenlinsen herausstach. Kein Schriftzug verriet Hersteller und Modell.

Die grüne Werra
Die grüne Werra

Der kleine Kobold wollte zu mir. So begann meine kleine Geschichte mit der Werra. Ich zahlte zu viel und trug eine Werra der ersten Generation mit nach Hause, und fing an mich über sie zu informieren, dass sie in den 60ern der DDR von Carl Zeiss Jena hergestellt wurde, im südlichen Thüringen in Eisfeld am Fluss Werra, und eine ganze Reihe von Modellen besitzt. Zu Hause stellte ich dann auch fest, dass ich ein defektes Modell erworben hatte, sie ließ sich nicht aufziehen. Ausgerechnet der Clou der Kamera, der Drehring, saß fest.

Bei meinen täglichen Hunderunden auf dem Staakener Feld kam ich dann zu einer zweiten und dritten Werra. Dort sehe ich immer wieder Menschen, deren Gesichter mit den Jahren vertraut werden. Wir kreisen alle auf demselben Weg um das Feld herum wie Planeten um die Sonne, während unsere Hunde wie Kometen hindurchzischen. Manchmal begegnen wir uns, aus Morgengrüßen werden Gespräche, aus Fremden Bekannte. So kam ich neulich zu einer Werramatic, bei der Wolfgang – so heißt meine Bekanntschaft – meinte, sie sei bei mir gut aufgehoben, so häufig, wie er mich beim Fotografieren auf dem Feld sehe.

Die Werra matic
Die Werra matic

Die Werra, die nun den Weg zu mir gefunden hat, ist nicht grün, sondern schwarz, und das steht ihr auch sehr gut. Die Werra ist eine Designikone wie eine Leica M oder eine Hasselblad 500 C/M. Leider war ihr kein großer Erfolg beschieden – die Technik machte nicht mit. In der Schlussphase stapelten sich die Kameras in den Lagern, und wer anspruchsvoll fotografieren wollte, kaufte sich eine Spiegelreflex. Dieses Schicksal wäre ja auch beinahe der Leica M widerfahren, wenn nicht analoge Liebhaberei, Techniküberdruss und ein kluges Management die Marke wieder auf Erfolgskurs gebracht hätten.

Doch Leica und Hasselblad sind nicht nur Designikonen, sie haben auch Fotografiegeschichte geschrieben. Das kann man von der Werra nicht behaupten. Sie ist weder besonders flexibel – gerade mal drei Wechselobjektive stehen zur Verfügung – noch technisch herausragend. Der Sucher ist zwar hell und klar, der eingespiegelte Messbereich für die Scharfstellung aber kein Mischbild, was das Fokussieren erschwert. Und das kompromisslose Verbannen aller Steuerinstrumente ins Objektiv macht die Kamera wunderschön, aber nicht ganz einfach zu bedienen: Zeit- und Blendenrad sind nicht leicht zu fassen.

Scharfstellen mit der Werramatic

Bei Messsucherkameras wird manuell scharfgestellt, indem man im Sucher zwei Bilder in Deckung bringt. Mit Übung geht das erstaunlich schnell – und häufig besser, als bei einer Autofokuskamera mit winzigem Joystick ein Messfeld zu positionieren, nur damit bei einem Gruppenfoto die richtige Person scharfgestellt wird.

Ich habe Hochzeiten und neulich eine Taufe mit einer Leica fotografiert, und es war kein unscharfes Bild dabei. Bei der Leica geht das aber nicht nur so gut, weil der Messsucher fantastisch ist – Welten von einer Werra entfernt –, sondern weil das Objektiv einen kleinen Griff, einen Knebel am Entfernungseinstellring, hat. Anstatt den Ring mit zwei Fingern zu drehen, reicht ein Finger. Das mag einem Hobbytischler mit Kreissägenunglück entgegenkommen, aber der wirkliche Vorteil ist das Fingergedächtnis: Man lernt intuitiv, aus der Position des Knebels am Objektiv die Entfernung einzuschätzen.

Fotografieren mit der Werramatic

Ganz anders die Werra – sie verzichtet auf solche Details, weil ihr Konzept ein anderes ist. Für solche Knubbel ist kein Platz am Objektiv, denn ein Köcher möchte hinübergestülpt werden, um es zu schützen. Der Köcher wird zum Fotografieren einfach andersherum aufgesetzt und so zur Sonnenblende. Natürlich ist der Köcher in der gleichen Farbe – unsere Werra bekommt also eine grüne oder schwarze Nase. Auf der Nasenspitze sitzt ein kleiner Objektivdeckel, der sich separat abnehmen lässt. So kann man auch mit aufgesetztem Köcher fotografieren, wenn die Einstellungen passen. Bei meiner Werra ist der Deckel durch einen Gelbfilter ersetzt worden.

Die Werra matic mit Gegenlichblende
Die Werra matic mit Gegenlichblende

Für noch mehr Schutz gibt es die Bereitschaftstasche, die eigentlich dank der cleveren Stülpnasenkonstruktion unnötig wäre, denn die Tasche macht die Kamera ungleich voluminöser. Aber sorgsam in der Tasche eingepackt, muss der Belichtungsmesser nicht arbeiten – was die batterielosen Selenzellen schont. Meine Werra hat einen tadellos funktionierenden Belichtungsmesser, nach 60 Jahren. (Ich packe übrigens meine Kameras nicht in Ledertaschen zur Aufbewahrung, weil ich Angst vor dem Pilzteufel habe. Im Fall meiner Werra unbegründet – die Linsen des Tessar-Objektivs sind klar.)

Aber auch ohne Fingergedächtnis kann man mit der Werra fotografieren. Sie hat sogar einen gekuppelten Belichtungsmesser, der im Sucher eingeblendet ist, genauso wie die Zeit- und Blendeneinstellung. Zeit und Blende lassen sich für denselben Lichtwert gemeinsam verstellen – wie bei einer Hasselblad. Als kürzeste Zeit steht eine 1/750 Sekunde zur Verfügung, das ist für eine Kamera mit Zentralverschluss ordentlich. Die Offenblende von 2,8 ist typisch für die Tessare jener Zeit. Zum Freistellen von Portraits reicht das nicht, macht auch nicht Sinn, denn dazu müsste das Scharfstellen leichter fallen.

Zeit/Blenden Einstellringe am Objektiv
Zeit/Blenden Einstellringe am Objektiv

Wenn andere über den richtigen Anstellwinkel des Schnellspannhebels ihrer Kameras philosophieren, um die Kamera schneller aufziehen zu können, kann man bei der Werra getrost eine Pause machen. Aufgezogen wird das kleine Ding durch einen Drehring am Objektiv. Das geht mit etwas Übung sogar mit dem Auge am Sucher – aber Schnelligkeit ist ohnehin nicht mehr das Metier der analogen Fotografie.

Ein Reportageweltmeister war sie sowieso nie; der Titel ging an Leica. Aber heute, wo wir uns mit einem Griff in den Antiquitätenschrank ein Exemplar der Evolution herausholen, deren technisch fortschrittlichere Nachfolgergenerationen wir längst kennen, gibt es keinen Grund, die Eigenarten als Makel zu empfinden. Es ist eine bewusste Entscheidung, sich auf diese Kamera einzulassen – sich von ihr leiten zu lassen und sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu benutzen, Augenblicke festzuhalten und den Moment zu genießen.

Die Gebrechen des Älterwerdens

Wie alle alten Kameras verlieren die mechanischen Federwerke ihre Kraft, was sich an den langen Zeiten bemerkbar macht. Ab einer 1/30 Sekunde funktioniert meine Werra, darunter hängen die Zeiten. Was völlig OK ist, denn für lange Zeiten bräuchte ich ein Stativ, und das passt nicht zu einer kompakten Kamera.

Bildbeispiele

Meinen ersten Film mit der Werra habe ich selbst entwickelt; der Rodinal-Entwickler ist schon ein paar Jahre alt, und so gab es ordentlich Korn. Die Schärfe habe ich auch manchmal nicht getroffen – was mich nicht stört, es passt zum analogen Charme. Die Belichtungsmessung der Kamera hat in Standardsituationen gut funktioniert; bei Gegenlicht habe ich einen Handbelichtungsmesser genommen.

Das aus dem 36er Film 10 Fotos nichts geworden sind, war mein Fehler - das Bildzählwerk muss man nach dem Laden des Films manuell zurückstellen. Da hab ich nicht dran gedacht.

Morgennebel auf dem Feld
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