Zum Ausstellungsbesuch nach Worpswede im Teufelsmoor

Worpswede ist eine Künstlerkolonie in Niedersachsen, nördlich von Bremen, in der Paula Modersohn-Becker in einer großen Kunstausstellung gewürdigt wird. Meine Frau schlägt vor, ein paar Tage im Herbst dort zu verbringen; sie möchte die Ausstellung sehen und findet ein Airbnb im Ort Ströhe, unweit von Worpswede.

Da wir – natürlich – mit unserer Hündin Milli anreisen, die nur mäßiges Interesse an expressionistischen Bildern zeigt, wird das Vergnügen des Ausstellungsbesuchs ganz bei meiner Frau liegen. Ich freue mich dennoch auf drei Tage in einer Region, die ich nicht kenne. Wie auch – wir sind in den letzten dreißig Jahren zu Nahostexperten geworden und fast ausschließlich in den neuen Ländern unterwegs.

Unterkunft

Nun also Worpswede, im Teufelsmoor. Unsere Unterkunft liegt in Ströhe, vielleicht zehn Kilometer Luftlinie entfernt, und ist eine vor vielen Jahren umgebaute Scheune. Offen liegendes Fachwerk, viel Platz, ein Kachelofen, dicke Balken und jede Menge Dinge und Möbel, die durch die Zeit gereist sind, lassen unser Domizil fast wie ein kleines Museum wirken, in dem wir uns auf Anhieb wohlfühlen.

Unser Hus am Moor
Unser Hus am Moor

Teufelsmoor

Der Ort Ströhe wurde 1755 gegründet, wie ein großer Findling verrät – also zu einer Zeit, als das Teufelsmoor entwässert wurde. Hier, auf der Westseite des Moores, liegen die großen niedersächsischen Höfe mit ihren Backsteinmauern, breiten Toreinfahrten und manchmal auch Reetdächern direkt am Rand des Moors – Straßendörfer, die ins trockene Hinterland hineinwachsen, von der L74 als kräftig befahrener Lebensader durchschnitten.

Das Teufelsmoor hat nichts mit dem Teufel zu tun, sondern stammt etymologisch von „doofes Moor“, was wiederum auf „taubes Moor“ zurückgeht. Wie das Rhinluch im Havelland ist es ein Relikt der Eiszeit – ein großes Niederungsbecken, begrenzt von sandigen Erhöhungen. Im Havelland nennt man sie „Ländchen“, hier heißen sie „Geest“. Diese Sander, Ländchen, Geeste entstanden beim Zurückweichen der Gletscher: Schmelzwasser strömte, sich immer weiter auffächernd, den Urstromtälern zu – nahe am Gletscherrand in kräftigen Strömen, die Geröll jeder Größe mitrissen, weiter entfernt langsamer, sodass nur noch kleinere Partikel – Kies und Sand – mitgeführt und abgelagert wurden. In den folgenden Jahrtausenden bliesen die Winde die Sande zu Dünen und Hügeln auf, die bald von Vegetation besiedelt und so vor weiterer Verwehung geschützt wurden.

Idyllische Straßen queren das Moor
Idyllische Straßen queren das Moor

Grünlandflächen im Teufelsmoor
Grünlandflächen im Teufelsmoor

Es gibt viele Parallelen zu den Luchgebieten bei uns: Wie diese wurden sie im 18. Jahrhundert trockengelegt und kolonisiert, und wie diese sind sie von einem dichten Netz aus Gräben durchzogen. Direkt bei unserer Unterkunft beginnt ein Lehrpfad durch das Niedersandhausener Moor, bestückt mit QR-Codes, die uns mit einer angenehmen Männerstimme Geschichten erzählen – von den „Pötten“, die ein Mann an einem Tag aushob, um Torf zu stechen. Danach liefen sie voll Wasser, und wir werden ermahnt, schön auf dem Weg zu bleiben, sonst könne es sein, dass wir in so einem zwei Meter tiefen Moorloch versinken. Wir hören von Moorleichen, die man noch immer findet, denn die Torflöcher – pardon: Pötte – waren ausgesprochen beliebt, um all das verschwinden zu lassen, was im Leben störte: Gartenabfälle, Müll, Mitmenschen.

Wanderweg bei Ströhe
Wanderweg bei Ströhe

Wanderweg bei Ströhe
Wanderweg bei Ströhe

Wir erfahren von den Strapazen, die der Torfstich mit sich brachte – von jenem Spruch: „Dem ersten der Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot.“

Heute ist die ursprüngliche Moorlandschaft fast überall verschwunden. Die trockengelegten Moore geben das gespeicherte CO₂ frei und heizen den Klimawandel weiter an: Drei Prozent der Landoberfläche sind Moore – sie enthalten dreißig Prozent des gesamten CO₂ der Erde.

Worpswede

Worpswede liegt mitten im Teufelsmoor, auf einer sandigen Erhebung – einer Geest. Die Ausstellung zu Paula Modersohn-Becker entpuppt sich als gemeinsames Konzept mehrerer Museen: „Paula Modersohn-Becker und ihre Weggefährtinnen – Der unteilbare Himmel“. Der zentrale Ort in Worpswede ist die Kunsthalle in der Bergstraße; die angrenzenden Straßen sind lebhaft befahren. Meiner Frau hat die Ausstellung ausgesprochen gut gefallen. Als wir uns später wiedersehen – sie von der Kunsthalle, ich von einer Wanderung an der Hamme zurück – erzählt sie mir, wie schwierig es für Frauen damals war, als Künstlerin zu arbeiten. Sie erklärt mir die Bilder, die Paula vom Moor malte, und führt mich zur „Käseglocke“, einem von Bruno Taut entworfenen Haus am waldigen Rand von Worpswede.

Bruno Tauts Käseglocke in Worpswede
Bruno Tauts Käseglocke in Worpswede

Wopsweder Kunsthalle
Wopsweder Kunsthalle

Und wo sind die Künstler?

Abends sitzen wir zusammen und sprechen über Worpswede. Uns geht es beiden gleich – uns fehlt etwas. Etwas, das uns berührt. Eine Lücke, entstanden durch nicht erfüllte Erwartungen. Wir stellen fest, dass uns die Besuche von Hiddensee und Ahrenshoop geprägt haben. Das hat auch mit der DDR zu tun, deren magere Wirtschaftskraft dafür sorgte, dass viele Dörfer in ihrer ursprünglichen Struktur erhalten blieben, während die Orte des Westens Wirtschaftswunder und Wandel erfuhren. In Worpswede ist von der Zeit, als die Künstlerkolonie blühte, außerhalb der Ausstellungsräume kaum noch etwas zu spüren. Es wirkt, als wäre Worpswede zum Kulturbetrieb geworden – von einem lebendigen Kreativort ist wenig geblieben (auch wenn es, wie ich nachgelesen habe, durchaus Kunststipendien gibt).

Wanderungen und Radtouren

Neben dem Spaziergang durchs Niedersandhausener Moor machen wir einen Ausflug zum Huvenhoopmoor, etwa zwanzig Minuten entfernt, das einen intakten Moorrest beherbergen soll. Rundwanderwege gibt es dort nicht; das Gebiet ist naturbelassen, und die Moorbewohner – vor allem die Vögel – sollen nicht gestört werden. Doch ein Aussichtsturm schenkt weite Blicke ins flache Land: dunkle Moorböden, trockene Heideflächen, Seen. Ein Stück weiter entdecken wir den Erlebnispfad, der an Infotafeln über Entstehung und Zustand des Moores aufklärt.

Aussichtsturm Huvenhoopmoor
Aussichtsturm Huvenhoopmoor

Huvenhoopmoor
Huvenhoopmoor

Ein anderer Weg führt Von Worpswede über die Mühle zur der Hamme und weiter ins Moor. Dort gibt es einen kleinen Hafen, von dem aus in der warmen Jahreszeit Kähne starten, um das Moor vom Wasser aus zu erleben. Ein Wanderweg quert das Gebiet, ein Stück davon gehe ich selbst.

Mit dem Rad erreicht man von Ströhe aus ebenfalls Worpswede, quer durchs Moor, über Schotter- und Graswege, später dann auf dem beschriebenen Weg weiter zum Hafen und zur Mühle.

Ich schleppe mein Teleobjektiv auf einer Morgenrunde mit und darf einen Milan und einen Raben fotografieren.

Rotmilan im Moor
Rotmilan im Moor

Rabe im Moor
Rabe im Moor

Kraniche und Wildenten sehe ich ziehen, aber nicht rasten. Mit dem Fahrrad unterwegs zu sein macht Spaß und bringt mir das Land doch etwas näher: die endlosen Grünlandflächen auf dem trockengelegten Moor, die Kuhherden, die niedersächsischen Höfe. Mit zweieinhalb Tagen werden wir der Landschaft sicher nicht gerecht, und unser Fazit ist gewiss ungerecht – aber bis auf Weiteres bleibt es dabei: Für Sehnsucht und Träume ist hier kein Platz. Es ist alles schon da.

Moorlandschaft im Morgennebel
Moorlandschaft im Morgennebel

Wassergraben im Moor
Wassergraben im Moor

Entwässerungsgräben im Moor
Entwässerungsgräben im Moor

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