Signora Vitessa bittet zum Fototermin: Eine Messsucherkamera aus den 50ern

Vitessa mit ausgezogener Teleskopstange
Vitessa mit ausgezogener Teleskopstange

Vor 50 Jahren, Mitte der 70er, fotografierte ich mit dieser Kamera ein gutes Dutzend Filme.
Für mich – als technikbegeisterten Jungen – war sie der Inbegriff von Wissenschaft und Technik, von Feinmechanik und Optik. Jedes Rädchen, jede Klappe, jede Kurbel hatte eine Funktion, die verstanden sein wollte, bevor man sie anwenden konnte.

Rätsel über Rätsel

Angefangen mit der Stange, die wie ein Teleskop aus einem U-Boot herausragt – und die man hineindrücken muss, um den
Verschluss aufzuziehen und den Film weiterzuspulen.

Und der Selen-Belichtungsmesser: Das Licht wurde in einem breiten Streifen aus kugelig gewölbtem Glas eingefangen und setzte eine Nadel in Bewegung! Der Pegelausschlag zeigte eine Zahl auf einer Walze an, die zuvor auf den ASA-Wert eingestellt worden war – und diese Zahl übertrug man ans Objektiv, wo man dann die passende Verschlusszeit-Blenden-Kombination einstellte.

Das Scharfstellen erfolgte über einen Messsucher, bei dem ein Spiegel im Inneren des Suchers sich bewegte, wenn man den Entfernungsring drehte. Besonders faszinierend: die Anzeige des Schärfentiefebereichs auf der Entfernungsskala des Objektivs durch zwei kleine rote Fähnchen, die je nach Blendeneinstellung automatisch zusammenkamen oder sich entfernten. Und die Zahlen auf der Entfernungsskala, die immer schneller aufeinander folgten – bis sie schließlich ins Unendliche übergingen.

Aufsicht Voigtländer Vitessa T
Aufsicht Voigtländer Vitessa T

Meine Beziehung zur Vitessa T

So viele Rätsel, die es zu ergründen galt!
Das war kein Knipsen – das war eine Versuchsbeschreibung, ein wissenschaftliches Experiment, das nur dann, wenn es Schritt für Schritt befolgt wurde, einen später mit detailgetreuen Aufzeichnungen der festgehaltenen Momente belohnte.

Vielleicht muss man sehr jung sein, um sich für so etwas zu begeistern. Oder ein Nerd. Ich war beides.

Es war die Kamera meines Vaters. Und obwohl unser Verhältnis nicht einfach war und ich seine Wutausbrüche fürchtete, gab er sie mir eines Tages – und ich versprach, sie sorgsam zu behandeln.

Vielleicht hatte er wirklich Vertrauen gefasst, dass ich sie nicht gleich schrotten würde – denn die zuvor unter dem Weihnachtsbaum liegende einfache Kassettenkamera, eine Iso Pak C, hatte ich ordnungsgemäß verwendet und damit bereits ansprechende Fotos gemacht. Oder es war ein über ein Geschenk vermittelter Versuch, eine Bindung aufzubauen. Denn meine Eltern hatten sich getrennt, und ich blieb bei meiner Mutter in West-Berlin, während mein Vater nach Göttingen zog.

Doch dieser Text soll keine Familiengeschichte erzählen, sondern von der Kamera handeln. Von der Kamera mit dem wunderschönen Namen Vitessa – ein Name, der klingt wie der einer Schauspielerin in einem französischen oder italienischen Schwarzweißfilm der 50er Jahre, der in den bürgerlichen Wohnzimmern auf dem Fernseher flimmert und zum träumen einlädt:

“Darf ich Sie auf einen Aperitif einladen, Signora Vitessa?”.
„Ein Aperitif? So früh am Tag? Und du – bist du nicht ein wenig jung für solche Vorschläge, mein Lieber? … Und was ist das da für ein eigentümlicher Apparat in deinen Händen? Du wagst es doch nicht, mich zu fotografieren, oder?“

Ich war wirklich ein Nerd.

Vitessa – das klingt nach Tempo, nach Geschwindigkeit, und tatsächlich lässt sich mit ihrer Teleskopstange der Verschlussaufzug und Filmtransport erstaunlich flink erledigen. Aber ein Leichtgewicht war sie nicht. Mit ihren 800 Gramm hing sie schwer an meinem dünnen, pubertierenden Körper, als ich sie mitnahm auf eine Griechenlandreise mit der neu gebildeten Familie mütterlicherseits und deren Freunden.

Ich fotografierte die Akropolis, Sonnenuntergänge über dem Meer, wilde Ziegen – und den charmanten Ort auf Skiathos, wo wir die besten Sommerferien verbrachten, die ich bis dahin kannte. Die Vitessa war immer dabei, Notizbuch aus Metall und Glas, bei Ausflügen und am Strand. Dort hängte ich sie zum Schutz vor Sand an die Streben des Sonnenschirms.

Bis eine Windböe den Schirm anhob – und meine Vitessa ihrem Namen alle Ehre machte: Mit großer Geschwindigkeit erhob sie sich in die Lüfte – und stürzte ein paar Meter weiter auf Felsen.

Die Prophezeiung hatte sich erfüllt. Ich hatte sie geschrottet.

Der mitreisende Freund meiner Eltern – Ingo – erlöste mich aus meinem Kummer über den Verlust der Kamera und die Scham der Nachlässigkeit im Umgang mit ihr, und lieh mir seine Minolta-Spiegelreflex für den Rest des Urlaubs, womit sich eine neue Liebe entfachte.

Meine gebrochene Vitessa fristete dann ein armseliges Leben. Sie verbrachte die meiste Zeit im Dunkel ihrer braunen, ledernen Bereitschaftstasche – verstaut in einem Karton, in dem sich all die anderen abgelegten Dinge sammelten. Dinge, die mit der Ungewissheit leben mussten, ob sich bald der Anker lichtet – für die letzte Fahrt über den Hades zur Müllkippe.

Jahre später holte ich sie wieder hervor.

Wenn sie schon kein Licht mehr einfangen kann, dann soll sie wenigstens welches spenden. Ich montierte sie auf ein Stativ und ersetzte das Objektiv durch eine Halogenbirne – wofür ich sie allerdings endgültig massakrieren musste.

Aber im Herzen habe ich sie immer geliebt, meine Vitessa.

Und so musste ich zugreifen, als ich auf einem Flohmarkt ein gut erhaltenes Exemplar sah. Sie ist nicht dieselbe, die das Licht der griechischen Sonne eingefangen hat – aber wir tun beide so, als ob.

Und ich passe gut auf sie auf, versprochen.

Review nach 50 Jahren

Knapp 50 Jahre lagen die Negative in ihren Hüllen – jetzt habe ich sie gescannt.
Die Hälfte der Fotos ist nichts geworden: teils wegen Unterbelichtung, teils wegen Verwacklung. Bei einigen saß die Schärfe nicht.

Unter den technisch gelungenen Aufnahmen sind ein paar gute Motive dabei – aber auch sehr, sehr viele Sonnenuntergänge in Schwarzweiß.

War die Kamera in meinen Händen, den Händen eines 14-jährigen, gut aufgehoben – abgesehen vom Absturz?
Die technischen Zusammenhänge für die richtige Bedienung hatte ich schon verstanden, aber die Lernkurve war natürlich viel langsamer als bei heutigen Digitalkameras. Ich habe im Urlaub vier Filme fotografiert, ohne zu wissen, ob ich alles richtig mache.

Heute sieht man sofort, ob ein Bild etwas geworden ist. Und Fehler? Die passieren einem kaum noch:
Gegen Verwacklung gibt es IBIS, gegen Unschärfe Autofokus, gegen Fehlbelichtung intelligente Motivprogramme.

Viele der Motive, die ich damals fotografierte, waren schlicht langweilig.
Da war es die Freude an der Technik – und die Lust, endlich auf den Auslöser zu drücken –, die den Impuls gab.

Aber ein paar Bilder sind toll.
Und ich bin glücklich, diese Zeit erlebt – und fotografiert – zu haben.

Die Landschaft Italiens
Die Landschaft Italiens

Auf der Fähre von Italien nach Griechenland
Auf der Fähre von Italien nach Griechenland

Auf der Fähre von Italien nach Griechenland
Auf der Fähre von Italien nach Griechenland

Ehrenwache in Athen, 1977
Ehrenwache in Athen, 1977

Die Akropolis von Athen
Die Akropolis von Athen

Akropolis
Akropolis

Sonnenuntergang hinter einer Kapelle
Sonnenuntergang hinter einer Kapelle

Ice creem & Greeg Menu
Ice creem & Greeg Menu

Der Strand auf Skiathos
Der Strand auf Skiathos

Ziegen, überall Ziegen
Ziegen, überall Ziegen

Der trubelige Ku'damm. Ein Stativ hatte ich noch nicht.
Der trubelige Ku'damm. Ein Stativ hatte ich noch nicht.

Kameraporträt: Voigtländer Vitessa T

Allgemeines
Die Voigtländer Vitessa T ist eine Kleinbild-Messsucherkamera für 135-Film (24×36 mm) und wurde von 1956 bis 1959 produziert.
Im Unterschied zu den frühen Vitessa-Modellen mit klappbaren „Scheunentoren“ besitzt die T-Version einen starren Tubus und ist als Systemkamera ausgeführt – die Objektive lassen sich wechseln.

Das Gesicht der Vitessa
Das Gesicht der Vitessa

Hosen runter: Die Vitessa nackig.
Hosen runter: Die Vitessa nackig.

Objektive
Zum Lieferumfang gehörte das Color-Skopar 50 mm f/2.8.
Optional waren u. a. erhältlich:

  • Skoparet 35 mm f/3.4 (Weitwinkel)
  • Dynaret 100 mm f/4.8 (Tele)
  • Super-Dynaret 135 mm f/4 (Tele)

Die Vitessa T verwendet eine spezielle Voigtländer-Bajonettfassung.
Sie ähnelt der späteren Deckel-Fassung, ist jedoch nicht kompatibel zu Bessamatic/Ultramatic.

Verschluss & Zeiten
Die Kamera besitzt einen Synchro-Compur-Zentralverschluss mit geometrisch gebildeten Zeiten von:
B – 1 – 1/2 … 1/125 – 1/250 – 1/500

Blitzsynchronisation ist über X und M möglich; dank Zentralverschluss mit allen Zeiten nutzbar.
Eine PC-Synchronbuchse sitzt am Objektivtubus; der Zubehörschuh ist „kalt“ (ohne Mittenkontakt).

Belichtungsmessung
Die Vitessa T besitzt einen ungekuppelten Selen-Belichtungsmesser, dessen Lichtwert auf einer Skala oben am Gehäuse abgelesen wird.
Für ASA-Werte im Bereich von 12–400 gibt es eigene Skalen.

Der gemessene Lichtwert wird manuell auf das Objektiv übertragen, wo Zeit und Blende gekoppelt sind: Dreht man
an einem der beiden Einstellringe, bewegt sich der andere mit. Die Blendenmarkierung befindet sich auf der
Unterseite des Objektivs.

Fokussierung & Sucher
Die Scharfstellung erfolgt über einen gekuppelten Messsucher.
Ein kleiner Fokussierhebel („Knebel“) am Entfernungsring ermöglicht das Fokussieren mit einem Finger – eine Funktion, die man auch von Leica-M-Objektiven kennt.

Die Tiefenschärfe wird durch zwei kleine rote Fähnchen angezeigt, die je nach Blende auseinander- oder zusammenrücken.

Der Sucher ist hell, aber für Brillenträger nur eingeschränkt gut nutzbar.
Für die Weitwinkel- und Teleobjektive wurden externe Aufstecksucher empfohlen.

Filmtransport & Bedienung
Typisch Vitessa: der Teleskop-Filmtransporthebel (auch „Plunger“).
Er ragt wie ein kleiner Kolben nach oben heraus – drückt man ihn hinein, werden Verschluss gespannt und Film transportiert.
Ist die Stange arretiert, blockiert automatisch der Verschluss.

Filmwechsel
An der Unterseite wird ein flacher Hebel umgelegt, danach lässt sich die Rückwand komplett nach unten abziehen.
Das mechanische Bildzählwerk stellt sich nicht automatisch zurück.
Eine integrierte Merkscheibe zeigt den eingelegten Filmtyp an (rein informativ).

Die Filmrückspulkurbel befindet sich ebenfalls auf der Unterseite.

Weitere Merkmale

  • Stativgewinde (1/4") seitlich versetzt am Boden – erschwert das exakte Ausrichten
  • Klappständer an der Unterseite für das Aufstellen auf dem Tisch
  • Vollmechanische Kamera, keine Batterien notwendig
  • Sehr robuste Metallkonstruktion, Gewicht mit Normalobjektiv etwa 790–800 g

Die Weiten des griechischen Meeres
Die Weiten des griechischen Meeres

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