Lost in the Bälle-Bad: Auf der Suche nach dem Seifenblasen-Bokeh mit dem Trioplan-Clon von TTArtisan

Vor einem Jahr habe ich mir das TTArtisan 100mm f/2.8 gekauft. Schon länger hatte ich das Trioplan von Meyer-Optik Görlitz auf meiner Wunschliste – zu oft hatte ich diese besonderen Fotos mit dem Seifenblasenbokeh gesehen. Das Trioplan ist eine sehr alte Objektivkonstruktion, ein Dreilinser mit vielen optischen Schwächen, die zugleich seinen besonderen Charme ausmachen. Vielleicht sollte man eher von Eigenschaften als von Schwächen sprechen: Das Objektiv zeichnet unscharfe Lichtpunkte im Hintergrund als Kreise mit hellem Rand und erhielt so den Beinamen „Seifenblasen-Bokeh“.

Ich besitze einige Meyer-Optik-Objektive, manche zeigen ebenfalls diesen Effekt, aber nie so ausgeprägt. Technisch gesehen ist das Seifenblasen-Bokeh die Folge einer sphärischen Aberration: Lichtstrahlen, die am Rand der Linse verlaufen, haben nicht denselben Brennpunkt wie die durch die Mitte. Das reduziert die Schärfeleistung und erzeugt die markanten Konturen in den Unschärfekreisen. Abblenden kann diesen Effekt mindern, aber dann geht auch der charakteristische Look verloren.

Gebraucht bekommt man das Trioplan ab etwa 200 Euro – mit dem Risiko von Staub, Kratzern oder Trübungen. Meyer-Optik produziert es zwar wieder neu, in Deutschland und mit hohem Fertigungsstandard, doch der Preis liegt weit jenseits meines Budgets. Umso erfreulicher, dass TTArtisan, ein chinesischer Hersteller, ein Reissue des Trioplan herausgebracht hat.

Verarbeitung und Bedienung

Das Objektiv ist sehr solide gefertigt und in M42- sowie Leica-M-Version erhältlich. Auch das M42 kann man mit Adapter an die Leica M bringen, doch die M-Version ist mit dem Leica Messsucher gekoppelt, was beim Scharfstellen hilfreich ist. Beide Objektivvarianten sind voll manuell, arbeiten auf Arbeitsblende, und der Blendenring läuft in umgekehrter Richtung – f/2.8 rechts, f/22 links. Gewöhnungsbedürftig, aber kein Drama: Wer das Objektiv wegen seines Bokehs kauft, blendet ohnehin selten ab. Ein Metallobjektivdeckel mit Schraubgewinde liegt bei – solide, griffig und deutlich hochwertiger als viele Klickdeckel.

Der richtige Abstand

Das Objektiv ist sehr speziell. Das Bubble-Bokeh tritt nur in bestimmten Lichtsituationen auf: kleine, helle Lichtquellen im Hintergrund, während man auf ein Motiv im Vordergrund (1–3 Meter) fokussiert. Typisch: Sonnenflecken, die durch Blätter fallen, und ein Porträt davor. Die Wahl des Kamerastandpunkts erfordert Aufmerksamkeit – der Abstand zwischen Motiv und Hintergrund entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Anders als bei lichtstarken Objektiven, die Hintergründe einfach weich zeichnen, will das TTArtisan gezielt geführt werden.

Lichtflecken im teilentlaubtem Baum
Lichtflecken im teilentlaubtem Baum

Eichenblätter und Lichtbälle
Eichenblätter und Lichtbälle

An einem trüben Tag und konttrastarmen Hintegrund dagegen sucht man den Seifenblaseneffekt vergeblich; das Objektiv zeichnet dann sehr weich und nostaglisch.

Sanft vermalter Hintergrund
Sanft vermalter Hintergrund

Scharfe Unschärfe

Die Bokehbälle mit ihrem hellen Rand ziehen sofort Aufmerksamkeit auf sich und können die Bildkomposition schnell dominieren. Anzahl, Größe und Helligkeit sind schwer zu kontrollieren – und ehe man sich versieht, verwandelt sich der Hintergrund in ein chaotisches Bällebad. Der Effekt kann faszinieren, aber auch ermüden. Hier wird der Hintergrund zum eigentlichen Motiv.

Hintergrund wird Vordergrund: Ablenkung vom Motiv
Hintergrund wird Vordergrund: Ablenkung vom Motiv

Ablenkung vom Motiv
Ablenkung vom Motiv

Größe der Bokehbälle

Wie groß können die Bokehbälle werden? Die maximale Größe erreicht man, wenn die Spitzlichter im Hintergrund unendlich weit entfernt sind und auf die Naheinstellgrenze fokussiert wird. In diesem Fall passen etwa sechs Bokehbälle übereinander auf einen Vollformatsensor – also rund 17 % der Bildhöhe pro Ball.

Maximale Bokeh-Bälle: Spitzlichter im Hochhaus, Entfernung eingestellt auf 90cm
Maximale Bokeh-Bälle: Spitzlichter im Hochhaus, Entfernung eingestellt auf 90cm

Ich habe in meinem Blog bereits mehrere Artikel zur Berechnung von Zerstreuungskreisen geschrieben. Hier reicht ein Blick in die Tabelle, die die Bokehgröße als Prozent der Bildhöhe zeigt (Spitzlichter im Unendlichen, variierende Fokusdistanzen. Berechnet für das 100mm 2.8 mit Vollformat):

Fokusabstand (m) Bokeh-Durchmesser (mm) Größe (% der Sensorhöhe)
0.9 4.46 18.6
1.0 3.97 16.5
1.5 2.55 10.6
2.0 1.88 7.8
3.0 1.23 5.1

Die Werte bestätigen die Beobachtung: sechs Bälle übereinander ergeben etwa 100/6 ≈ 17 %.

Vorsicht mit Texturen

Das Bubble-Bokeh wirkt nicht nur in den Spitzlichtern. Es beeinflusst die gesamte Unschärfe. Kanten und Linien erscheinen mit doppelten Konturen, sanfte Übergänge fehlen. Besonders feine Texturen – Gräser, Zweige, Blätter – können dadurch unruhig wirken. Je nach Abstand und Strukturgröße entsteht schnell ein flirrendes Muster. Das kann stören, muss aber nicht. In manchen Situationen wird die Textur dadurch in die unscharfen Bereiche hineingetragen.

Texturüberlagerungen
Texturüberlagerungen

Flares

Ein weiteres Problem ist die starke Anfälligkeit für Flares. Gerade wenn man die Seifenblasen erzeugen will, arbeitet man oft im Gegenlicht. Schon ein einzelner Strahl kann den Kontrast drastisch reduzieren oder das ganze Bild milchig überziehen. Millimeterweise Kamerabewegungen entscheiden über Erfolg oder Misserfolg. Ich habe häufig versucht, das Licht mit der Hand abzuschatten. Flares lassen sich zwar gestalterisch nutzen, aber beim TTArtisan reagieren sie zu heftig und unberechenbar.

Flares und reduzierter Kontrast
Flares und reduzierter Kontrast

Kameras und Fokussieren

Ich nutze das Objektiv an einer Sony A7 (erste Generation) und einer Leica M mit EVF. Das Fokussieren ist schwierig. Eine Blende von 2.8 ist kein Lichtmonster, und im Nahbereich zeichnet das Objektiv weich. Auf dem EVF der Sony ist es schwer, den exakten Schärfepunkt zu treffen. Mit der Leica M gelingt das Fokussieren über den Messsucher besser, besonders in Kombination mit dem EVF zur Lichtkontrolle. Das Handling mit Leica EVF und dem schweren Objektiv ist dagegen wenig erfreulich – die M verliert ihre Balance und ihren Reportagecharakter. Mit modernen Kameras wie der Nikon Z dürfte das Fokussieren deutlich leichter fallen.

Fazit

Ich hatte mir das TTArtisan 100mm f/2.8 zusammen mit dem Biotar-Klon TTArtisan 75mm f/1.5 angeschafft, das ein Wirbel-Bokeh erzeugt. Beide sind Charakterobjektive, die Geduld verlangen. Das 75mm habe ich schnell ins Herz geschlossen, es ist vielseitiger und verzeiht mehr. Das Seifenblasen-TTArtisan dagegen war anfangs eine Herausforderung. Inzwischen beginne ich, seine Eigenheiten zu verstehen und zu schätzen. Wenn die scharfen Unschärfen, die hellen Ränder der Bokehbälle und die Strukturen des Bildes harmonieren, entsteht etwas Besonderes.

Am Anfang hilft es, mit Hintergründen zu experimentieren, Unschärfen zu studieren, zu lernen, wann der Effekt wirkt – und wann er zu viel ist. Das allein macht schon Spaß, und manche der so entstandenen Fotos sind, nun ja, ziemlich einzigartig.

Hintergrundunschärfe Beispiel - Gräser auf dem Feld
Hintergrundunschärfe Beispiel - Gräser auf dem Feld

Hintergrundunschärfe Beispiel - Gräser auf dem Feld
Hintergrundunschärfe Beispiel - Gräser auf dem Feld

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