Eine halbe Woche in Kühlungsborn. Strandspaziergänge und Ausflüge nach Heiligendamm, Rerik und Warnemünde

In den letzten Jahren hat sich für uns der Oktober oder November für ein verlängertes Wochenende eingespielt. Dieses Mal ist es Mitte November, der Herbst hat die meisten Bäume entblättert, und die Sonne schafft es häufig nicht mehr, den Hochnebel zu verdunsten. Noch ist der Boden nicht gefroren, man riecht die erdige Feuchtigkeit, doch der Winter bringt sich bereits in Stellung. Zwischentage sind es, zwischen Sankt Martin und der Adventszeit, wenn die Geschäftigkeit bald wieder Einzug hält.

Wir haben ein Wochenende um ein paar Tage verlängert und sind nach Kühlungsborn gefahren, die Ostsee also. Wir waren schon oft an der Küste, aber noch nie im Sommer; der Trubel und der Wettstreit der Urlauber um die besten Plätze am Strand oder Restaurant schreckt uns ab.

Meine Frau hat Kühlungsborn vorgeschlagen, den Landstrich westlich von Rostock, auf halbem Wege nach Wismar. Kurz nach der Wende waren wir hier – das ist etwa so viele Jahre her, wie ich damals alt war. Jung war. Wir besuchten damals das benachbarte Heiligendamm, das ersten Seebad Deutschlands, gegründet 1793. Im Kurhaus servierten die Azubis uns ein Kännchen Kaffee. Die DDR war noch nicht weg, die BRD noch nicht da - auch das war eine Zwischenzeit, eine Lücke in der Geschichte, dessen Drehbuch als Skizze erkennbar, aber noch nicht geschrieben war. Ein paar Jahre später feierten unsere Freunde Susan und Jochen in Heiligendamm ihre Hochzeit, und 2017 bin ich die Küste mit Boris entlanggeradelt.

Diese Gegend wollen wir uns wieder anschauen, gemeinsam. Und Warnemünde. Und wenn wir uns landflüchtig fühlen, fahren wir eben nach Rostock.

Mit im Gepäck habe ich meine Schwarzweißkamera, passend zum grauen Novemberwetter, und meine analoge Leica M6 mit einem Ilford FP4 Film, auf dessen Entwicklung ich mich schon jetzt freue.

Kühlungsborn

Wir finden die Villa Magda in Kühlungsborn, ein schönes altes Haus, in dem außer der freundlichen Vermieterin sonst keine Gäste sind – Zwischenzeit eben. Im Souterrain ist ein Modegeschäft, nicht das einzige, wie wir bald feststellen. Überhaupt scheinen wir mitten in der Geschäftsstraße untergekommen zu sein: Restaurants, Bäcker, Modegeschäfte wechseln sich ab, der Rest besteht aus Ferienwohnungen und Hotels. Die Seebrücke liegt geradezu, ist aber nur eine Anlegestelle ohne Gebäude.

Seebrücke von Kühlungsborn
Seebrücke von Kühlungsborn

Kühlungsborn ist eine Stadt aus zwei Teilen – Ost und West. Dazwischen liegt der Stadtwald, ein grüner Kilometer, und die Uferpromenade mit ihren Villen verbindet alles miteinander. An dieser Stelle ist die Küste schnurgerade und ohne Wasser “achtern”, also ohne Bodden oder Haff im Hinterland. Dafür ist auch keine Gelegenheit, denn südlich von Kühlungsborn erhebt sich ein eiszeitlichen Moränenzug, ein Hügelgebiet, das vom vorrückenden Gletscher aufgetürmt wurde und sich “die Kühlung” nennt.

In Kühlungsborn-Ost - dort, wo auch unsere Unterkunft liegt - befindet sich auch ein alter Grenzturm, der eine Ausstellung über die Grenzsicherung und die gescheiterten und geglückten Fluchversuche dokumentiert. Gute 45 Kilometer bis nach Fehmarn musste man schwimmend zurücklegen, um in die Freiheit zu gelangen.

Ehemaliger Grenzturm in Kühlungsborn
Ehemaliger Grenzturm in Kühlungsborn

Am Strand von Kühlungsborn
Am Strand von Kühlungsborn

Blick aus der Konzerthalle Kühlungsborn
Blick aus der Konzerthalle Kühlungsborn

Möven, Möven, Möven
Möven, Möven, Möven

Heiligendamm

Kilometerweit erstrecken sich Promenade und Sandstrand bei Kühlungsborn. Am ersten Tag gehen wir zu Fuß am Strand entlang nach Heiligendamm. Anderthalb Stunden stapfen wir durch den Sand, das strengt an, und wir knöpfen die winddichten Jacken auf. Das Wetter ist sonnig und windstill, die Landschaft bietet überall dasselbe Bild. Nur zum Schluss wandelt sich die Szenerie in ein kleines Stück Steilküste, mit Wald und Abbruchkanten wie beim Gespensterwald Nienhagen.

Waldstück am Strand vor Heiligendamm
Waldstück am Strand vor Heiligendamm

Dann wird es steinig, und wir wechseln vom Strand auf die Straße und suchen auf der Rückseite den Zugang zu den Gebäuden von Heiligendamm. Nichts zu machen. Alles abgeriegelt. In einem Café an der Seite kehren wir ein – müde, hungrig und durstig – und gehen nach der Stärkung wieder zum Strand und von dort in die „weiße Stadt“. Aber auch hier will man uns nicht haben.

Die Villen liegen hinter einer Grünfläche, man kommt nicht näher heran, alles ist verriegelt. Die Jagdfeld‑Gruppe hatte das Ensemble einst von der Treuhand erworben, um es zu restaurieren und wieder zu altem Glanz zu führen. Doch jahrelange Rechtsstreitigkeiten, Unstimmigkeiten mit der Gemeinde, ausbleibende Investitionen und ein kompliziertes Eigentümergefüge ließen das Projekt scheitern. Es ist traurig. Und es ärgert, ausgesperrt zu werden.

Der Rückweg verspricht zu Fuß keine Abwechslung, also fahren wir. Die dampfbetriebene Schmalspurbahn „Molli“ wäre eine Gaudi, aber die Tickets sind uns zu teuer. Der Bus bringt uns in derselben Zeit zurück nach Kühlungsborn wie die Molli – und kostet uns als Deutschlandticket-Inhaber nichts.

In Kühlungsborn gehen wir ins Café Katharina – eine Empfehlung der Vermieterin – und stärken uns bei Kuchen, bevor wir noch eine kleine Tour mit dem Auto machen: Der Leuchtturm Bastorf ist unser Ziel. Er liegt nicht an der Küste, sondern auf dem Buk, einer rund 78 Meter hohen Anhöhe der Kühlung, etwa zwei Kilometer vom Meer entfernt. Der Turm selbst ist klein, knapp zwölf Meter hoch, gilt aber dennoch als der höchstgelegene Leuchtturm Deutschlands. Neben dem Turm befindet sich ein Café, und es öffnet sich eine weite Rundumsicht. Moni hat als eine der letzten Besucherinnen des Tages noch den kurzen Aufstieg gewagt und berichtet, dass die Sicht von oben noch einmal beeindruckender sei, weil sich das hügelige Terrain der Kühlung eindrucksvoll überblicken lässt.

Salzhaff bei Rerik

Am Freitag regnet es, durchgehend und mit zunehmender Intensität. Weder Rostock noch Warnemünde locken bei solchem Wetter, und ein weiterer endloser Strandspaziergang muss auch nicht sein – wir fanden die kilometerlange gerade Kühlungsborner Küste rückblickend eher eintönig und uninspirierend.

Ich füttere mein ChatGPT mit einem bösen Prompt, er solle mir sagen, wo die Küste nicht so grottenlangweilig ist, und bekomme das Salzhaff genannt. Richtig – Rerik! Dort waren wir vor 15 Jahren mit Freunden; unser ältester Sohn hat dort einen Surfkurs gemacht.

Ich suche bei Komoot eine Runde heraus, abwechslungsreich, auch wenn Hin- und Rückweg identisch sind. Das geht mit Schirm auch bei Regen, denken wir, und fahren los. Wir parken am Hafen, dort, wo der „Lange Hals“ die Verbindung zur Halbinsel Wustrow bildet – auch diese wurde nach der Wende von Jagdfeld gekauft. Ein Touristenparadies sollte entstehen, doch wie Heiligendamm ist auch dieses Jagdfeld-Projekt gescheitert. In diesem Fall zum Glück, möchte man meinen, denn die Natur kann sich nun auf dem gesperrten Gelände erholen.

Wir laufen durch den beschaulichen Hafen und dann die meiste Zeit direkt am Ufer des Salzhaffs. Der späte Herbst zeigt seine Farben: das Schilf orange leuchtend, die Büsche blattlos, in ihnen dunkle Beeren, an denen dicke Regentropfen wie Perlenohrringe hängen.

Nach einer Stunde kehren wir um – Monis Jacke ist nicht so wetterfest wie gedacht, und sie samelt mit jedem Schritt mehr und mehr Regen in ihrem Mantel ein. In Rerik finden wir ein Bistro; ich bekomme Apfelstrudel, Moni Pellkartoffeln. Wir wärmen uns auf, blicken durch die nassen Scheiben auf das Haff und lassen die Zeit in ihrem eigenen Tempo vergehen. Und wir denken darüber nach, warum wir uns an Bodden und Haff wohler fühlen als an den langen Stränden. Es wird etwas mit dem eigenen Alter zu tun haben, mit den Erfahrungen und den geänderten Bedürfnissen. Aber letztlich waren wir schon immer lieber in den stillen Orten unterwegs.

Spaziergang am Salzhaff
Spaziergang am Salzhaff

Sonnenschein unter dem Regenschirm
Sonnenschein unter dem Regenschirm

Regenohrringe am Salzhaff
Regenohrringe am Salzhaff

Am Abend gehen wir in Kühlungsborn ins Restaurant Vielmeer und bekommen einen der letzten Plätze. Später wird hier noch eine Band spielen; jetzt machen sie Soundcheck. Das Essen ist super – nicht billig, aber sehr gut. Der Band zuzuhören macht Spaß, und ich freue mich auf die nächste Probe mit meiner Band. Vielleicht klappt es ja auch mal wieder mit einem Auftritt.

Warnemünde

Der nächste Morgen. Der Regen hat aufgehört, am Horizont über dem Meer blitzt blauer Himmel auf, und es bläst ein eisiger Wind. Heute soll es nach Warnemünde gehen.

Als Moni vor anderthalb Jahren in Graal-Müritz zur Kur war, hat sie einen Ausflug dorthin gemacht und war sehr angetan. Nun will sie mir ihr Warnemünde zeigen, den Kreis schließen, und mit mir die damals versäumten gemeinsamen Momente nachholen. Ich war bei meiner Ostseeradtour zwar ebenfalls dort, aber nur auf der Durchfahrt. Als Radler ist man – außer am Zielort – eigentlich immer auf der Durchfahrt.

Wir fahren in 35 Minuten zum S-Bahnhof Warnemünde, wo es einen großen Parkplatz gibt. Warnemünde gefällt mir außerordentlich gut. Die Stadt liegt – der Name verrät es – an der Mündung der Warnow. Wer mit der Fähre aus Rostock ausläuft, passiert die Mündung und damit auch Warnemünde. Und wer die Ostseeküste entlangradelt, muss die Warnow mit einer Fähre überqueren.

Wir wollen weder das eine noch das andere, sondern einfach nur bummeln. Neben der Warnow, die hier zu einem breiten Seekanal wird, gibt es den „Alten Strom“, einen historischen Hafenarm, an dem auf der Ostseite die Fischkutter liegen, während auf der Westseite Ausflugsboote zu Hafenrundfahrten locken, begleitet vom Glockengebimmel der nächsten Abfahrt.

Leuchtturm und Teepott von Warnemünde
Leuchtturm und Teepott von Warnemünde

Am Alten Strom in Warnemünde
Am Alten Strom in Warnemünde

Die Leuchttürme von Warnemünde
Die Leuchttürme von Warnemünde

Vom Alten Strom geht es zum Meer, vorbei am historischen Leuchtturm und am „Teepott“ mit seinem geschwungenen Dach wie die schwangere Auster in Berlin. Die Warnowmündung wird von zwei kleinen Leuchttürmen – rot und grün – markiert. Dahinter beginnt ein breiter Sandstrand, der sich zu hohen Dünen auftürmt, in denen Betonplatten liegen. Zwischen den Dünen gehen wir zurück zum Leuchtturm und gelangen in die pittoresken Gassen rund um den Alten Strom: niedrige Häuser, hübsche Fassaden, enge Durchgänge, so schmal, dass gerade noch eine Kuh hindurchpassen würde.

Pittoreske Fassaden in Warnemünde
Pittoreske Fassaden in Warnemünde

Pittoreske Fassaden in Warnemünde
Pittoreske Fassaden in Warnemünde

Im Café Wegner machen wir Pause. Innen ist es geräumig, Selbstbedienung. Ich arbeite mich durch eine Buttercremetorte, die so mächtig ist, dass ich mittendrin aufgebe. Direkt daneben liegt das Hotel Ringelnatz, das uns wahrscheinlich besser gefallen hätte. In der Alexandrinenstraße treffen wir auf einen Brunnen mit der Bronzeplastik „Warnemünder Umgang“, die den historischen Festumzug darstellt, der alle zwei Jahre stattfindet.

Bronzeplastik Warnemünder Umgang
Bronzeplastik Warnemünder Umgang

Wir kreuzen die Straßen, kaufen auf dem Markt an der Kirche ein paar Zwiebeln und stromern weiter am Alten Strom entlang. Überall diese Möwen! Moni erzählte schon von der Kur, dass sie so frech und furchtlos sind, dass sie einem das Essen aus der Hand klauen. Kein Vergnügen – die Tiere gehen aggressiv vor, und die Schnäbel können schmerzhaft sein. Das Füttern ist daher verboten und wird mit Bußgeldern bis zu 5.000 € geahndet.

Für mich war Warnemünde das Highlight des Urlaubs. Mit seinen alten Gassen und den Fischkuttern hat es sich ein eigenes Gesicht bewahrt. Kühlungsborn hat viele Geschäfte und Restaurants, aber mir fehlt dort etwas. Einen Platz, wo die Seele von Kühlungsborn wohnt. Shoppen kann ich auch in Berlin.

Zurück in Kühlungsborn spazieren wir noch einmal zur Strandpromenade, gehen nach Westen zur Gourmet-Fritte „Edel und Scharf“ und finden draußen einen Platz. Der Wind pfeift eisig, Decken wärmen die Beine. Die Portionen sind groß, aber bei 27 € für Glühwein und zwei Currywurst mit Pommes darf man nicht über Preis-Leistung nachdenken, sonst verdirbt man sich den Moment.

Auf dem Weg zurück zur Villa Magda spazieren wir am Strand, und sehen eine lange Reihe von Anglern. Zunächst dachte ich, dass es das samstägliche Hobby der Eingeborenen ist, aber nein - es ist ein Ausscheidungswettkampf um die Anglerweltmeisterschaft. Wir unterhalten uns eine Weile mit einem redefreundlichen Angler, der seine Sachen zusammenpackt. 17 Fische hat er gefangen, ob es reicht - wer weiß, was die anderen in ihrem Eimer haben. Wir wünschen Petri Heil.

Wettkampfangler in Kühlungsborn
Wettkampfangler in Kühlungsborn

Angler am Strand von Kühlungsborn
Angler am Strand von Kühlungsborn

Happy Birthday Milli

Milli bekommt noch ein dickes Leckerli, denn heute hat sie Geburtstag, 9 Jahre ist sie geworden! Happy Birthday, kleine Maus!

Happy Birthday
Happy Birthday

Weitere Beiträge zum Thema