Seit etwa einem Jahr fahre ich nun das Rennstahl Rohloff Speedster - 'One Bike for Life'. Zeit für einen Erfahrungsbericht - hält das Rad, was es verspricht?

Nachdem wir in unserer Firma bereits zwei JobRäder angeschafft haben, dachte ich mir, dass das auch für mich eine gute Sache ist. Wenn nicht jetzt, wann dann? Mein treues Stevens Trekkingbike hatte mittlerweile deutlich über 30.000 km runter, und die Zeichen der Abnutzung mehrten sich: Stossdämpfer, Nabe hinten, Nabe vorn sind end-of-life, der Rahmen ist instabil, die Gepäckträger durchgescheuert.

Rohloff und Rennlenker

Mein Kollege Karsten hat sich ein per JobRad-Leasing finanziertes Tout Terrain Randonneur mit Rohloff geholt, und so etwas ähnliches schwebte mir auch vor:

  • Rohloff und Riemen, weil es Wartungsarmut verspricht
  • Rennlenker, weil er die meisten Griffpositionen ermöglicht

Also ein Reiserad mit Rennlenker, dass gute Zuladung verträgt (und sich damit immer noch gutmütig verhält).

Zugegebenermaßen war mir nicht klar, dass die Kombination Rohloff und Rennlenker schon etwas Besonderes ist. Bei der Schaltfunktion der Kombigriffe wird das Rauf- und Runterschalten der Gänge mit dem linken und rechten Schaltheben separat erledigt. Im Gegensatz zu einem Drehgriff, bei dem das ganze Gangspektrum mit einer Bewegung durchgeschaltet werden kann, wird hier wie bei einer Kettenschaltung stückchenweise geschaltet. Möglich wird dies durch eine kleine Box, bei der die linearen Bewegungen der Schaltzüge auf Zahnräder übersetzt werden, die dann das Schalt-Zahnrad der Nabe steuern. Erfunden hat diese Box ein Herr Gebla, und deswegen heißt sie so: Gebla-Box. Die Tücken der Schaltung am Rennlenker sollte ich erst noch kennenlernen.

Probefahren bei Velophil

Ins Auge gefasst hatte ich schon ein paar Hersteller: Rennstahl, Tout Terrain und Velotraum; mit diesen Gedanken im Kopf bin ich dann zu dem Fahrradgeschäft Velophil in Berlin-Moabit gegangen und hab mein Anliegen vorgetragen. Velophil hat als einer der wenigen Geschäfte in Berlin tatsächlich eine gute Auswahl an Reiserädern, und außerdem eine Top-Beratung, wie ich später noch herausfinden sollte.

Es wurden insgesamt 4 Termine, bis wir die Bestellung abschließen konnten. Zunächst bin ich mit ein paar Rädern Probe gefahren - Tout Terrain, Rennstahl und Stevens, wobei das Stevens ein Gravel mit GRX / Kettenenschaltung ist, die beiden anderen hatten Rohloff verbaut. Von der Spritzigkeit war das Stevens am besten, vom Fahrkomfort das Rennstahl. Wobei das Schalten der Rohloffnabe am Rennlenker mir schon etwas strange vorkam - man muss deutlich mehr Kraft aufwenden als bei einer Kettenschaltung. Entschieden hatte ich mit dann für das Rennstahl, auch weil ich durch die YouTube Videos des Herstellers schon angefixt war. Ähnlich angefixt war ich von Velotraum, doch hier wurde mir gesagt, dass die Räder für mindestens ein Jahr nicht lieferbar seien.

Nach dem Probefahren bin ich noch zweimal mit einem Rad von mir zum Geschäft gefahren, damit diese dort vermessen werden konnten (Mein Stevens Trekkingrad und mein Centurion Rennrad); außerdem wurden die gemessenen Werte an ein Maßgerät übertragen, wo noch einmal meine Haltung auf der ausgerechneten Geometrie überprüft wurde.

Ausstattung

Schließlich wollte Frau Blum von Velophil noch mal darüber nachdenken, ob nun der L oder XL Rahmen die beste Wahl für mich sei (Ergebnis: “Lieber ein kleinerer Rahmen mit einem längeren Vorbau!”), und dann konnten wir kurz vor Weihnachten 2020 die Bestellung aufgeben. Bei der Ausstattung habe ich gleich alles mitbestellt, was an ein Reiserad rangehört. Damit das Gewicht nicht zu sehr explodiert, habe ich mich bei den Trägern und der Sattelstütze für Titan entschieden. Gewicht geht runter, Preis geht rauf.

Dass Renstahl Rad gibt es in schwarz mit roten Naben und Details, das sieht schon ziemlich schick aus. Ich habe aber die rein schwarze Variante gewählt - das Rad soll nicht mehr als nötig auffallen.

Bei der Kurbelgarnitur habe ich mich für das kleinere Blatt entschieden (Gates S550) - das schafft mehr Spielraum am Berg mit Gepäck, reduziert dafür am oberen Ende die maximal kurbelbare Geschwindigkeit.

Modell Rennstahl 853 Rohloff Speedster
Rahmengröße L
Laufradgröße 28
Steuersatz Acros vollintegriert und getapered, schwarz
Spacerhöhe 5cm
Griffe Selle Italia Gel Pads für Ober- und Unterlenker zusätzlich gewickelt
Gabel Rennstahl Gravel Stahl NEW X-12 standard FLAT-Mount
Schaltgruppe Rohloff 14 Speedhub
Kassette CDX Riemenscheibe
Kurbelgarnitur Gates SS550
Kurbellänge 170mm
Bremsen Flatmount Sram Force
Bremsscheibe 160mm/160mm
Antrieb Gates CDX 50/22
Sattelstütze Falkenjagd Titan 400mm
Vorbau Syntace F149
Vorbaulänge 110mm
Vorbau Grad -7°
Lenker Syntace Racelite 440mm
Klingel Spurcycle Bell
Sattel Brooks Ledersattel
Laufradsatz Vorne SON 15/hinten Rohloff/Felge Rennstahl/Speichen DT Swiss Competition/Nip
Mäntel Schwalbe G-One Allround 622-40
Sattelspanner Rennstahl Schraubwürger schwarz
Schutzbleche SKS Blümels extra lang
Licht vorne SON 28/Einbaubreite 100mm+Edelux II SCHWARZ mit Koax-Abzweigdose
Licht vorne Befestigung an der Starrgabel mit Halter von Rennstahl extra lang 11 cm
Rücklicht Busch und Müller Toplight Line Brake Plus
Gepäckträger Falkenjagd Titan Axios
Lowrider Falkenjagd Titan Axios
Ständer Hebie Festmontage schwarz Alu light
USB Ladegerät NC-17 Connect APPCON 3000

“Es können 2 Monate werden, bis das Rad fertig ist”, tröstete mich Frau Blum vorsorglich, doch es wurden 4.

Schaltungsprobleme Rennlenker und Rohloff

Ende April 2021 wurde mir dann endlich das Rad übergeben. Aber schon bei der ersten Fahrt musste ich feststellen, dass die Schaltung extrem schwammig war - schlichtweg eine Katastrophe. Um einen oder zwei Gänge hoch- oder runterzuschalten, muss der Griff um nahezu 90° durchgebogen werden, und leichtgängig ist das auch nicht. Ganz im Gegenteil, es war ein Fingerbrecher. Frustriert bin ich mit dem Rad zu Hause angekommen. Da hab ich nun ein tolles Rad mit der besten Schaltung der Welt, und das Schalten ist so grauenhaft, dass man am liebsten in einem Gang bleibt.

Immerhin zeigte Velophil Verständnis und konnte das nachvollziehen - denn an meinem Rad war ein anderes Schaltsystem (Campagnolo) verbaut als beim Vorführrad (Sram). Erklärung: die Sram Baugruppen waren nicht lieferbar, deswegen wurde Campagnolo verbaut. Als Verbesserungsmaßnahme wurde versucht, in den Schalthebeln die Transportwellen der Kabelführung durch größere selbstgedruckte Hülsen zu ersetzen. Größerer Umfang der Welle = mehr transportierter Kabelzug. Das Ergebnis war ein Quentchen besser, aber längst nicht zufriedenstellend. Schließlich handelte Frau Blum aus, dass ich noch ein Sram Exemplar als den letzten Sram Notbeständen von Rennstahl bekommen würde. Noch einmal Wochen warten, und dann hatte ich im Juni 2021 endlich ein Rad mit einer Schaltung, die benutzbar war.

Endlich ein neues Rad

Das Rad (mit der Sram Schalt-/Bremsgruppe) fährt sich einfach fantastisch. Egal ob ohne oder mit Gepäck, es reagiert direkt und verhält sich ruhig. Kein nervöses Zittern oder Schlackern, auch bei voller Beladung vorne und hinten. Auch mit nur einer Tasche vorne - perfekt ausbalanciert. Toll!

Einen großen Anteil daran hat sicherlich auch Velophil und die intensive Beratung bezüglich der Geometrie. Von allen Rädern die ich hab - das hier passt perfekt. Dabei sind dann auch so kleine Dinge wie die Geleinlagen am Rennlenker, die zusätzlichen Fahrkomfort bringen. Kleines Detail, große Wirkung.

Die Entscheidung für die kleinere Kurbelgarnitur war auch prinzipiell richtig. Allerdings ist bei etwa 35km/h Schluss mit Kurbeln.

Gravellenker oder klassischer Rennlenker am Rohloff?

Ich hab mich für klassischen Rennlenker entschieden und keinen Gravellenker mit ausgestellten Untergriffen (Flare). Ich bin zum Vergleich mal ein Stück mit dem Rad von Karsten gefahren - der hat an seinem Rohloff Tout-Terrain einen Gravellenker. Dabei ist mir aufgefallen:

  • Das Handling insgesamt fand ich an meinem Rennstahl mit klassischem Lenker besser als ans Karstens Rad mit Gravellenker. Ich glaub, er hat das auch so empfunden. Der Gravellenker ist mir - für diesen speziellen Radtyp - zu unbequem und zu sportlich. Wobei ich auch gepolsterte Griffe hab, das bringt einfach ein geniales Griffgefühl.
  • Vorteil Gravellenker: hier sind die Schaltgriffe schräg angebracht. Das entlastet die Hände beim Schalten, weil die Finger nicht so extrem durchgebogen werden müssen. Insgesamt war aber der Schaltkomfort bei beiden Rädern vergleichbar.

Mächtig Flare: Gravellenker am Rohloff Tout Terrain
Mächtig Flare: Gravellenker am Rohloff Tout Terrain

Straight: der klassische Rennlenker am Rennstahl
Straight: der klassische Rennlenker am Rennstahl

Und was gibts zu meckern?

“One bike for Life” - mit dieser mutigen Behauptung preiste Rennstahl das Rad an. Wär das nicht geil - Rennrad, Gravel, Reiserad - alles in einem Rad. Aber das bleibt ein Wunschtraum. Stahlrahmen, Rohloffnabe, viele Anbauteile - das bringt ordentlich Kilos auf die Waage. Leichfüßig über Wurzelwege graveln geht nicht, aber Schotter und kantige Plattenwege steckt das Rad gut weg. Auch schnelles Beschleunigen und dynamisches Fahren ist nicht das Metier, indem man sich mit dem Rad gerne austobt.

“Speedster” - der Namenszusatz passt nicht wirklich. Die Rohloffnabe klaut sich dauerhaft ein paar km/h, und auch die SON-Nabe will gefüttert werden. Würde ich ein schnelles Gravel wollen, täte ich ein Alu/Carbonnrad mit GRX Kettenschaltung bevorzugen. Doch das ist dann kein Reiserad.

Ölverlust

Mit Schrecken hatte ich festgestellt, dass die Rohloff-Nabe nach der Inspektion bei Velophil (mit Ölwechsel) Ölflecken auf dem Boden produziert, wenn ich das Rad zuvor liegend im Auto transportiert habe. Ist das Rad also eine empfindliche Diva? Velophil meinte, dass man sich keine Sorgen machen muss, die Nabe fährt zur Not auch mit sehr wenig Öl, ohne kaputt zu gehen. Aber ein komisches Gefühl ist das trotzdem. Bei den Kettenschaltungen mach ich an Wartung alles selber; bei Rohloff soll es keine Wartung geben. Wie passt da ein Ölverlust ins Bild?

Fazit

Für Radtouren und Radreisen ist das Rad perfekt. Ich würde es wieder kaufen - wenn sicher ist, dass man die richtigen Schaltgriffe bekommt. Denn die ausgelieferten Schalt-/Bremsgriffe von Campgnolo sind eine Zumutung. Ich frag mich, warum es den Konstrukteuren bei Rennstahl nicht aufgefallen ist - sie geben sich doch sonst bei jedem Detail Mühe…

Es war die richtige Entscheidung, das Rad bei Velophil zu kaufen - gute Beratung und Support bei Problemen bei einem so teuren Rad sind unbezahlbar.

Und was ist mit de “One bike for life”? Ich finde, die Floskel von Rennstahl weckt falsche Hoffnungen. Neben dem Rennstahl hab ich weitere Räder, auf die ich nicht verzichten kann und will:

  • ein Centurion Rennrad, für schnelle weite Touren auf Asphalt (dafür ist das Rennstahl zu langsam)
  • ein Brompton für kurze Strecken in Kombination mit dem ÖPNV (dafür ist das Rennstahl zu groß und schwer). Amüsante Anmerkung: Auch der Verkäufer von boxbike wo ich mein Brompton erwarb, schlug mir vor alle anderen Räder wegzugeben, weil ich diese nicht mehr brauche wenn ich nur ein Brompton besäße…
  • eine Kiezgurke für die kurze Fahrt zum Bäcker, dieses Rad darf draußen stehen (dafür ist das Rennstahl zu teuer)

Schneller fahre ich nicht mit dem Rennstahl Rad, aber das Fahren macht einfach mehr Spaß als mit allen anderen Rädern.

Update September 2023: Rennstahl und Tout Terrain

Mittlerweile habe ich das Rennstahl über zwei Jahre und bin gerade von einer Radreise zurück.

Bei der Radreise war das Rennstahl fantastisch. Ich hab es mit Packtaschen vorne und hinten bestückt, und es ist ohne nervöses Zucken zuverlässig und spurtreu gefahren. Ich bin mit meinem Sohn unterwegs gewesen, der mein altes Stevens Trekkingrad genutzt hat, und der Qualitätsunterschied ist eklatant.

Aber das Rennstahl ist auch schwer und nicht so spritzig; die Rohloff-Nabe frisst halt immer etwas Energie, und das spürt man im Vergleich zur Kettenschaltung. Etwas wett gemacht wird es durch die Rennrad-Gene, die man auf ebenen Strecken und gutem Asphalt ausleben kann, da konnte ich meinem 40 Jahre jüngerem Sohn davon ziehen.

Das Spektrum der Gänge ist definitiv zu klein für den Alltagseinsatz. Ab ca 35 km ist am oberen Ende Schluss. Dafür hab ich Reserven am unteren Ende und bin mit voller Beladung Hügel mit 16% Steigung hochgekommen. Dass am oberen Ende etwas fehlt, kann ich verschmerzen; denn auf ebener Strecke fahre ich im Grenzbereich eher 25-28 km/h, schneller geht es nur bergab, und da lasse ich dann ab 35 km/h halt rollen und erhole mich vom Anstieg.

Am letzten Tag meiner Radreise habe ich Probleme mit den Sitzknochen bekommen (zum ersten Mal in meinem Leben). Ich hab die Schuld dem harten Brooks-Sattel gegeben, es kann aber auch einfach nur eine Überlastung gewesen sein (solche Probleme können auch erst nach zwei Wochen auftreten, wenn sich die Knochenhaut der Sitzknochen entzündet). Ich bin die vorigen Tage Hosen ohne Sitzpolster gefahren; am letzten Tag dann mit Polster, und es wurde besser.

Einmal hat sich bei der Reise der Riemen verdreht und ist vom hinteren Zahnkranz gerutscht (Mir ist ein Spanngurt abgegangen, der sich zwischen Zahnrad und SPeichen gezwiebel hatm und dadurch den Riemen aus außen drückte). Ich hab den Riemen wieder befreit und zurück geschoben, und keine Folgeprobleme gehabt. Dennoch - bei der nächsten Reise werde ich einen Ersatzriemen mitnehmen.

An die Schaltvorgänge am Rennlenker hab ich mich gewöhnt und komme sehr gut klar, im Gegensatz zu meinem Kollegen Karsten mit seinem Tout Terrain. Dessen Leasing ist ausgelaufen, und er hat das Rad nicht übernommen, sondern zurückgegeben. Grund für ihn war das umständlichere Schalten (ich habs ja schon weiter oben geschrieben - sein Cockpit ist nicht so ergonomisch wie meins; ein Gravellenker mit Flare passt meiner Meinung nach nicht zur Rohloff-Schaltung!).

Außerdem sind ihm 3 Mal (!!) die Schaltzüge zwischen Schaltgriff und Schaltbox gerissen; er vermutet einen Konstruktionsfehler an der Schaltbox, denn bei den Pannen ist jeweils die kleine Kugel am Ende abgerissen. (Info: An seinem Tout Terrain ist nicht die Gebla Box verbaut, sondern eine Tout Terrain eigene Entwicklung.)

Ich habe vor, mein Rennstahl am Leasing-Ende zu übernehmen.

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