Ein Ausflug in die 'Berge' des Westhavellandes - das Milower Ländchen. Bergtour light, Bolles Villa, Sparkassen die in Kirchen wohnen, Apothekergärten und ganz viel Mücken.

Die Sehnsucht nach der Weite treibt uns wieder raus gen Westen. Das Milower Ländchen, 80km westlich von Spandau/Berlin, besitzt ein paar Beulen im Boden, die hier in der norddeutschen Tiefebene gemeinhin als Berge bezeichnet werden. Der Beiname ‘Ländchen’ findet sich häufiger im Havelland und bezeichnet die Gebiete, die aus der Ebene herausragen. Denn das Havelland bestand vor der Trockenlegung in den Niederungen - den eiszeitlichen Urstromtälern - aus Sümpfen und Mooren. Die Ländchen ragten aus diesen heraus.

Der Krämer Forst im Ländchen Glien ist eine solche Erhebung, und das Milower Ländchen auch.

Wir fahren mit kleinen Fotostopps rund 1,5 Stunden, getrieben von der Sehnsucht nach weitem Himmel und ursprünglicher Natur.

Fotostopp für Sommerbilder - große Hariborollen aus Stroh
Fotostopp für Sommerbilder - große Hariborollen aus Stroh

Kornfelder im Havelland
Kornfelder im Havelland

Wir erreichen Milow, das direkt an der Havel liegt, gegenüber von Premnitz. Premnitz ist eine Industriestadt (Chemiefabrik) mit etwas unter 10.000 Einwohnern, entsprechend turbulent geht es auf den Straßen zu. Außerdem ist die Havelbrücke nur einseitig befahrbar, was den Verkehr entsprechend anschwellen lässt.

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Milower Berge

Wir parken das Auto in der Bergstraße(!) am Friedhof, und steigen auf den Milower Berg; 86m über NN. Der Weg ist so kurz, das man ruckzuck oben ist. Es gibt zwei kleine Aussichtspunkte; der erste mit Blick gen Osten auf die Havel ist zugewachsen; der zweite mit Blick gen Westen bietet eine freie Sicht.

Viel Natur am Milower Berg
Viel Natur am Milower Berg

Aussichtspunkt mit Blick gen Westen
Aussichtspunkt mit Blick gen Westen

Wir gehen die paar Schritte wieder hinunter, überqueren das Flüsschen Stremme und gehen an einer Obstplantage des Nabu mit alten Apfelsorten vorbei.

Blick auf eine Feuchtwiese im Naturpark Westhavelland
Blick auf eine Feuchtwiese im Naturpark Westhavelland

Obstplantage des Nabu mit alten Apfelsorten
Obstplantage des Nabu mit alten Apfelsorten

Wir gelangen zum Vieritzer Berg und dem Bützer Berg. Da beide bewaldet sind und uns arg die Mücken plagen, steht uns nicht der Sinn die Berge zu besteigen; statt dessen laufen wir am Rand der Feuchtgebiete in einem großen Bogen zunächst zum nächsten Dorf Bütz, und von dort auf einem Rad/Fußweg an der Ernst-Thälmann-Straße zurück nach Milow. Am Horizont türmen sich dunkelgraue Wolken auf. Oh ha, das kracht gleich ordentlich, orakel ich und beschleunige den Schritt.

Die drei Berge im Milower Ländchen
Die drei Berge im Milower Ländchen

Das Flüsschen Stremme
Das Flüsschen Stremme

Die Stremme
Die Stremme

Gasthof Milow

Wir trudeln im Gashof Milow ein und bekommen den letzten Platz auf der Terrasse an der Havel. Glück gehabt, das nächte Mal sollten wir vorher einen Tisch reservieren. Das Restaurant liegt am Rittergut, das heute das Nabuzentrum und eine Seniorenresidenz beherbergt.

Das Essen ist gut, aber standard. Mein Zanderfilet mit Pfifferlingen kommt geschichtet übereinander in Sahnesauße. Wenn es das Ziel war die Aromen gegeneinander auszuspielen, so ist das gelungen. Monis “Zander Mittelmeer” kommt mit Mangoschlotz. Hört sich gruseliger an als es ist - man kann es esssen und schmeckt nicht schlecht, aber leider unter den Erwartungen.

Macht nichts, die Aussicht ist toll und der Service gut. Wir fragen, ob man hier kein Problem mit Hochwasser hat - so direkt an der Havel. “Hier regnet es nicht”, werden wir aufgeklärt. Das Land ist so trocken, dass auch das Wässern der Gärten eingeschränkt ist - zwischen 8:00 und 20:00 Uhr ist es verboten. Vielleicht regnen ja die Wolken alle an den Milower Bergen ab, witzel ich. Wir zahlen und spazieren rund ums Gasthaus. An der Mündung der Stremme in die Havel liegen einige Hausboote, die man mieten kann; von der Kompaktklasse bis zu riesigen Kisten mit Sonnendeck. Gegenüber liegt ein Kahn namens Havelland vertäut und ein Angler bringt sich in Position.

Ein Kahn namens Havelland
Ein Kahn namens Havelland

Nabu-Zentrum Westhavelland

Schnell noch ein Foto von einem Blumenbett, dann betrete ich das Nabu Infozentrum Westhavelland. Der Nabu ist an der Renaturierung der Havel beteiligt; von 150 Jahren wurde die Havel zusehends Schiffahrtskanal. Das boomende Berlin brauchte Ziegel, und hier im Schlick des Havellandes gibt es den besten. All die Millionen Ziegel wurden auf Kähnen (“Kaffenkähnen”) transportiert. Um die Schiffbarkeit zu verbessern, wurden die Flussufer befestigt, die mäandernden Seitenarme gekappt und Wehre und Schleusen gebaut.

Als Folge verschwanden der Lebensraum für die vielen hier angestammten Tierarten. Mit den Renaturierungmaßnahmen versucht man das nun zu korrigieren; die Befestigungen werden zurückgebaut, Altarme wieder angeschlossen. Stück für Stück gehen die Maßnahmen voran. Für großfläche Maßnahmen fehlt das Geld. Und so braucht es weitere Initiativen. Handys wurden gespendet, 600.000 € kamen zusammen.

Hört sich alles toll an, nützt aber nichts wenn die Havel zuwenig Wasser führt, klärt mich der Nabu-Mitarbeiter auf. In der Lausitz wird das Wasser der Spree - die Spree ist wichtiger Zufluss der Havel - entnommen, um die Senken des Braunkohletagebaus zu fluten und eine Seenlandschaft zu errichten; das Wasser, dass dort verdunstet, regnet hier nicht mehr ab. An jedem warmen Tag verdunstet 1cm vom See - je größer die Seefläche, desto größer der Verlust. Er erinnert sich, wie es früher war, dass es in seiner Jugend normal war, dass im Frühjahr die Keller voll Wasser standen. Verderbliches wurde in Regalen oben gelagert; und dann wurde das Wasser abgepumpt. Weite Gebiete standen unter Wasser, und er konnte bei Frost die 7 Kilometer mit Schlittschuhen über die Felder nach Rathenow fahren.

Nachdenklich verabschiede ich mich.

Ein Blumenbeet im Bett
Ein Blumenbeet im Bett

Kirchen von Milow

Wir schlendern die Dorfstraße zurück und gelangen zur Fachwerkkirche aus dem Jahr 1695. Die Kirche wurde unter dem Patronat der von Tresckows gebaut; der Patron musste den Kirchenbau finanzieren, dafür standen dem Geldgeber besondere Rechte zu - Ehrensitzplätze in der Kirche, Begräbnis im Inneren der Kirche und natürlich die Möglichkeit, sich mit Bildern oder anderen Darstellungen in der Kirche zu verewigen.

Das waffengespickte Gedenkschild neben dem Altar, und auch die Grabplatten hinter dem Altar sind solche Gegenstände, die die Tresckows anbringen ließen.

Außenansicht Kirche von Milow
Außenansicht Kirche von Milow

Altar der Kirche von Milow. Rechts das waffengespickte Gedenkschild, hinter dem Altar Grabplatten der Tresckows.
Altar der Kirche von Milow. Rechts das waffengespickte Gedenkschild, hinter dem Altar Grabplatten der Tresckows.

Vertäfelungen in der Kirche von Milow - 70 Engel an der Decke, an der Empore christliche Figuren und natürlich die Patrone
Vertäfelungen in der Kirche von Milow - 70 Engel an der Decke, an der Empore christliche Figuren und natürlich die Patrone

Kanzel der Kirche von Milow
Kanzel der Kirche von Milow

Eine weitere Kirche befindet sich ein paar meter weiter und beherbergt heute eine Sparkasse. Zwei Kirchen braucht man nicht, und diese Kirche lag vormals in einem Dorf namens Leopoldsburg, das heute mit Milow zusammengewachsen ist. Vor Jahrzehnten wurde die Kirche entwidmet, dann sollte sie abgerissen werden. Mehrfach wurde das verhindert, und schließlich zog die Sparkasse ein und rettete so das Gebäude.

Die entwidmete Kirche von Milow - heute ist eine Sparkasse drin
Die entwidmete Kirche von Milow - heute ist eine Sparkasse drin

Wo einst der Altar stand, stehen heute Geldautomaten. Auch eine Form des Patronats, denke ich. Aber die rote Leuchtschrift außen, das wollte man dann doch nicht nicht. Und so steht dort in schlichten schwarzen Lettern “Sparkasse”.

Kein rotes S erlaubt - die Sparkasse in der Kirche von Milow
Kein rotes S erlaubt - die Sparkasse in der Kirche von Milow

Apothekergarten

Wir gehen weiter die Straße entlang und kommen an einem Apothekergarten vorbei. Für einen gründlichen Besuch sind wir nun zu müde, aber es würde sich lohnen. Auf 400qm sind Heilkräuteer angepflanzt und nach Themenfeldern sortiert: Nervosität, Leber-Galle, Magen-Darm, Hauterkrankungen , Rheuma, Frauenheilkunde, Harnweg, Venenerkrankungen und so fort.

In Deutschland gibt es etwa 30 solcher Apothekergärten; dieser hier ist der einzige in Brandenburg und wird von der Adler Apotheke betrieben, die 1895 gegründet wurde.

Villa Bolle

Vier Jahre zuvor, im Jahr 1891 ließ Carl Bolle seine Villa in Milow bauen. Bolle muss man eigentlich nicht vorstellen (okay, ganz kurz: Erfolgreicher Geschäftsmann, der in Berlin mit seinen Milchkutschen die Bürger versorgte. Markenzeichen war eine Glocke, die sich auch im Logo wiederfindet.)

Bolle ließ sich dann eine Kopie dieser Villa in Berlin bauen und stellte diese Villa den Kindern seiner Angstellten als Erholungsheim zur Verfügung. Später wurde es ein Ausbildungsheim, heute ist eine Jugendherberge drin.

Villa Bolle in Milow, heute eine Jugendherberge
Villa Bolle in Milow, heute eine Jugendherberge

Bolle Schild - der Milchmann mit der Bimmel
Bolle Schild - der Milchmann mit der Bimmel

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